21.12.2023

Koalition wie Feuer und Wasser

Islands Regierungskoalition ist im Umfragetief. Bereits beim Antritt 2017 musste das ungewöhnliche Dreierbündnis um Premierministerin Katrín Jakobsdóttir mit Skepsis kämpfen. Im verflixten 7. Jahr geht es für die Regierung ums politische Überleben. 

 

Blick auf ein Fensterelement mit Drachen am Parlament. Bild von falco auf Pixabay.
Unklare Aussichten: Regierungskoalition unter Feuer. © falco auf Pixabay.

Im verflixten 7. Jahr ist Islands Regierungskoalition in unruhiger See. Am Ende eines turbulenten Jahres muss die Links-Grüne Bewegung von Premierministerin Katrín Jakobsdóttir um ihren Wiedereinzug ins Parlament fürchten.

 

Laut einer aktuellen Umfrage vom Dezember würde die kleinste der drei Regierungsparteien aktuell an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Gerade noch 5,1 Prozent der Befragten unterstützen die Partei derzeit. Der Rückhalt für die Bewegung der Regierungschefin ist damit auf dem niedrigsten Stand seit ihrem Einzug ins AlÞing, wie die Online-Plattform Iceland Review berichtete.

 

Die beiden großen Regierungspartner kommen in der Umfrage deutlich besser weg: Die Unabhängigkeitspartei käme demnach immerhin noch auf ordentliche 19,3 Prozent (bisher 20,5%), die Fortschrittspartei konnte ihren Anteil von 7,4% auf 8,6% sogar leicht ausbauen.

 

Politikwissenschaftler hatten zuvor von einer Spaltung innerhalb der Koalition gesprochen und unter anderem auf die Uneinigkeit der regierenden Partner bei der UN-Abstimmung zur Waffenruhe im Gaza-Streifen verwiesen. Außenminister Bjarni Benediktsson lehnt Wirtschaftssanktionen gegen Israel ab.

 

Zahlreiche Streitpunkte

 

Auch die neuen Bestimmungen zur Unterbringung von Flüchtlingen in staatlichen Unterkünften hatte für Unmut innerhalb der Koalition gesorgt.

 

Kritik wurde zudem an den Vorgängen rund um den Verkauf der in Staatsbesitz befindlichen Íslandsbanki laut, die zum Rücktritt Bjarni Benediktssons geführt hatten, der sein Amt als Wirtschafts- und Finanzminister daraufhin mit Außenministerin Þórdis Kolbrún Reykfjörd Gylfadóttirn tauschte.

 

Auch Island kämpfte 2023 zudem weiter mit steigenden Energie-Preisen und einem deutlichen Anstieg der Inflation aufgrund der Ukraine-Krise. Ihren bisher höchsten Stand hatte die allgemeine Preissteigerung im Februar 2023 mit 10,2 Prozent erreicht.

 

Nach dem russischen Übergriff auf das Nachbarland flaut die Teuerungsrate nur langsam ab. Die durchschnittlichen Preise für Waren und Dienstleistungen sind im Juni 2023 erstmals seit zwölf Monaten gesunken. Dennoch bleibt die Inflation auf der Insel auf einem recht hohen Niveau. 



05.12.2023 | Foto: Unsplash

Laut einer aktuellen Umfrage muss die Regierungskoalition unter Premierministerin Katrín Jakobsdóttir um ihre Mehrheit bangen. Die Links-Grüne Bewegung würde sogar den Wiedereinzug ins Parlament verpassen. Mehr



Jakobsdóttir sei “eine Sozialistin, eine Feministin und eine Umweltschützerin“ und habe sich mutige Ziele gesetzt, schrieb die britische Tageszeitung The Guardian bei ihrem Amtsantritt 2017. Ihre größte Aufgabe sei es indes, das Vertrauen in die Politik wieder zu gewinnen.

 

Als damals jüngste Regierungschefin Europas ging die Grünen-Politikerin Ende 2017 ein Bündnis ein, das in Deutschland wohl „Jamaika“ heißen würde. Der Weg dahin war mühsam. Island wurde von politischen Skandalen erschüttert, Rücktritte, Neuwahlen – viele hofften auf Jakobsdóttir. Doch die potenziellen Partner konnten sich nicht einigen. 

 

Schließlich kam eine Regierung ausgerechnet mit den beiden Gruppierungen zustande, auf die keiner gesetzt hatte: der Fortschritts- und der Unabhängigkeitspartei – traditionsverhaftet, männerdominiert, in Korruptions- und Finanzskandale verstrickt.

 

Eine „höchst ungewöhnliche Koalition“, wie die Premierministerin einräumte – mit dem Juniorpartner am Steuer. An Jakobsdóttirs Seite: ihr Vorgänger Bjarni Benediktsson, der sein Amt wegen einer Vertuschungsaffäre aufgeben musste.

 

Sechs Jahre später ist die Euphorie verflogen.

 

Zwar kann das Bündnis vor allem außenpolitisch unbestreitbar beachtliche Erfolge vorweisen. Doch in anderen Bereichen ist die Bilanz weniger überzeugend. 


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In diesem Jahr hatte die Inselnation gleich in zwei wichtigen internationalen Gremien den Vorsitz inne – und wusste diese Chance für sich zu nutzen.

 

Mitte Mai lud der kleine Inselstaat zum historischen Treffen des Europarates nach Reykjavík, dem vierten Gipfel in der Geschichte der Organisation überhaupt. Sechs Monate lang – von November 2022 bis Mai 2023 – hatte der Inselstaat den Vorsitz im Ministerkomitee der Menschenrechtsorganisation inne, und geschickt trieb er in dieser Zeit die Idee eines internationalen Schadensregisters für die Ukraine voran.

 

Am Ende unterschrieben fast alle der 46 Mitgliedstaaten. Für Deutschland nahm Bundeskanzler Olaf Scholz an dem Treffen in der isländischen Hauptstadt teil.

 

Nicht zum Spielball der Großen zu werden – das ist seit jeher Leitfaden der isländischen Außenpolitik.

 

Der Inselstaat, der sich erst 1944 vollständig von Dänemark lösen konnte, legt Wert auf seine Unabhängigkeit und ist daher auch bis heute kein Mitglied der Europäischen Union.

 

Da erscheint es nur folgerichtig, dass Island den im Januar 2023 übernommenen Vorsitz im Nordischen Ministerrat unter das Motto The Nordic Region – A Force for Peace gestellt hat.



29.06.2023 | Foto: Unsplash

Verbraucherinnen und Verbraucher in Island können aufatmen: Die Inflationsrate ist erstmals seit zwölf Monaten gesunken. Dennoch bleibt die Teuerung auch im Juni 2023 auf einem hohen Niveau. Mehr



Doch jenseits der Außenpolitik stellt sich die Frage, ob die Regierung immer auf die richtigen Themen setzt.

 

Ein Lieblingsprojekt von Premierministerin Jakobsdóttir und ihrer Links-Grünen Bewegung ist die sog. Wohlfühlwirtschaft. Das Ziel: ein Wachstum, das Würde, Fairness und Teilhabe für alle ermöglicht. Die isländische Regierung hat ausgeklügelte Governance-Mechanismen entwickelt, um die Wellbeing Economy erfolgreich umzusetzen.

 

Doch wenngleich sich Islands Wirtschaft nach der Corona-Pandemie 2023 weiter erholt hat, sorgen die hohen Energiepreise und die Inflation für Unmut. Bei einem Blick ins Portemonnaie dürfte den meisten Menschen auf der Insel nicht nach Wohlgefühl zumute sein.

 

Ein zweites Aushängeschild insbesondere der Links-Grünen Bewegung: die Gender-Politik. Island rühmt sich, eines der Länder zu sein, in denen die Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern am weitesten fortgeschritten ist.

 

Islands Frauen schultern Hausarbeit

 

Doch gerade hat eine Umfrage gezeigt, dass es Islands Frauen sind, die weiterhin die Mehrheit der Hausarbeit schultern. Aus der Studie geht hervor, dass Frauen eher in Teilzeit arbeiten als Männer: 68% aller Mütter haben einen Vollzeitjob, und 96% aller Väter.

 

Problem Nummer 3: der anhaltende Tourismusboom und die hohe Zahl von Reisenden, unter der die Kommunen ächzen. Die Infrastruktur des kleinen Landes ist darauf nicht ausgelegt und Islands Ökosystem leidet.

 

Der Inselstaat plant nun eine Steuer für Übernachtungsgäste, um Islands faszinierende Naturwunder vor dem zunehmenden Massentourismus zu schützen und die ambitionierten Klimaziele zu erreichen. Zudem investiert Island Millionen in seine Regionalflughäfen. In Zukunft können Reisende aus dem Ausland den Norden und Osten des Landes direkt anfliegen – das soll die Touristenströme entzerren.

 

Alles in allem also ein durchwachsenes Zwischenfazit. 


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Bei den Parlamentswahlen im November 2021 konnte die Regierungskoalition unter Katrín Jakobsdóttir allen Unkenrufen zum Trotz ihre Mehrheit behaupten.

 

Doch die Kräfteverhältnisse zwischen den ungleichen Partnern hatten sich deutlich verschoben. Denn obgleich die Regierungschefin in der Bevölkerung beliebt ist, musste ihre Partei deutliche Verluste hinnehmen. Gleichwohl schaffte es die telegene und authentisch wirkende Grünen-Politikerin erneut an die Spitze der Regierung.

 

Doch schon damals war klar, dass das Regieren in der laufenden Wahlperiode nicht einfacher werden dürfte. Dabei gab es für die Koalition auch ohne Inflation und Energiekrise schon genug zu tun – Stichwort: Corona-Pandemie, Wirtschaftsentwicklung und Verfassungsreformen. 

 

Verlorenes Vertrauen

 

Heute, vier Jahre später fand sich Jakobsdóttirs wichtigster Regierungspartner Bjarni Benediktsson erneut im Mittelpunkt eines handfesten Skandals wieder. Anzuhaben scheint ihm die Affäre um die Geschäfte seines Vaters nichts – anders als Regierungschefin Jakobsdóttir.

 

Möglich, dass Island doch nicht so emanzipiert ist, wie es die zahlreichen internationalen Auszeichnungen nahelegen.

 

Das Vertrauen in die Premierministerin ist jedenfalls erst einmal dahin. 


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