14.03.2023

BIP x Glück = Island

Bundeskanzler Olaf Scholz will Deutschlands Wohlstand künftig nicht mehr nur am Bruttoinlandsprodukt messen. Beim Besuch des Regierungschefs aus Bhutan lobte er die Idee vom „Bruttonationalglück“. Wie die Rechnung aussehen kann, zeigt das Beispiel Islands.

 

Figurengruppe vor dem Perlan, dem Warmwasserspeicher in Reykjavík. Bild von Rafael Garcin auf Unsplash.
Lebensqualität wird in Island groß geschrieben. © Rafael Garcin auf Unsplash.

 

Bundeskanzler Olaf Scholz ist fasziniert von Bhutans „Bruttonationalglück“. Beim ersten Besuch eines Regierungschefs aus dem Himalaya-Königreich sprach er sich jetzt dafür aus, auch den Wohlstand in Deutschland nicht mehr nur am Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu messen. Ein Blick nach Island zeigt, wie die Rechnung künftig aussehen kann.

 

Denn gemeinsam mit Schottland und Neuseeland hat der kleine Inselstaat bereits im Dezember 2019 die Gruppe der Regierungen der Wohlfahrtswirtschaft (Wellbeing Economy GovernmentsWeGo) gegründet. 2020 schlossen sich Finnland und Wales an.

 

Das Ziel: „eine alternative Zukunft auf der Grundlage von Wohlstand und Wachstum, an dem alle teilhaben“. Wellbeing Economy, heißt das – Ökonomie des Wohlergehens. Gemessen wird nicht nur das, was ein Preisschild hat, sondern auch Wohlfahrt und Lebensqualität – also zum Beispiel der Zugang zu Wohnraum und Grünflächen sowie die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen.

 

Denn das BIP fokussiert allein auf die Wirtschaftsleistung – es sagt aber nichts über die Qualität von Jobs aus oder welche Folgen die Produktion für die Umwelt hat.

 

BIP verschleiert  negative Effekte

 

Im Gegenteil: Negative Effekte werden durch die bisherige Wirtschaftsrechnung verschleiert. Wird viel geraucht oder Alkohol getrunken, schlägt sich das im BIP positiv nieder. Wenn jemand hingegen die öffentlichen Verkehrsmittel nutzt anstatt ein eigenes Auto, wirkt sich das negativ aus.

 

Ehrenamtliche Tätigkeiten oder unbezahlte Care-Arbeit finden sich ebenso wenig in der Rechnung wie durch Ungleichheit verursachte soziale Schäden. Wie lebenswert eine Gesellschaft ist, bewertet das BIP also gar nicht.

 

Die Wellbeing Economy soll diese Mängel in den Rechnungen ausgleichen und das Licht auf alle Aspekte der Wohlfahrt und Lebensqualität richten.

 

Die WeGo-Gruppe versteht das auch als eine Antwort auf gesellschaftliche Veränderungen wie die Digitalisierung und den Klimawandel. 

 

So war die fortschreitende Umweltzerstörung für Islands Premierministerin Katrín Jakobsdóttir ein Hauptgrund, nach neuen Wegen zu suchen.

 

Umweltzerstörung in die Rechnung aufnehmen

 

2018 war die Vorsitzende der isländischen Links Grünen Bewegung mit Fachleuten, Kunstschaffenden und Aktivisten auf den Gletscher Okjökull gestiegen – oder das, was von ihm geblieben ist. Denn der weiße Riese ist weggeschmolzen. Nur eine Gedenktafel erinnert noch an den toten Gletscher.

 

Die Regierungen der Wohlfahrtswirtschaft wollen den Schwerpunkt denn auch vom Wirtschaftswachstum auf Nachhaltigkeit verlagern und die Post-Wachstum-Perspektive an den Zielen der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDG), orientieren.

 

Ein Beispiel: Island hat das fortschrittlichste Gesetz für Lohngleichheit in Europa verabschiedet. Es verbietet, dass Frauen und Männer für gleichwertige Arbeit unterschiedlich bezahlt werden.  

 

Erfunden hat das Ganze übrigens – richtig – das kleine Königreich Bhutan. Dort weiß man seit Jahrhunderten, wie wichtig das Volksglück ist.

 

Seit Ende der 1990er Jahre ist es offizieller Erfolgsindikator für das buddhistische Land. Und nicht nur Olaf Scholz blickt bewundernd gen Asien. 


Islands Weg zur Wohlfühl-Wirtschaft

 

2018 führte der Ausschuss des Premierministers für Indikatoren des Wohlbefindens eine Umfrage durch; sie ergab, dass Gesundheit, Beziehungen, Wohnen und Lebensunterhalt die vier wichtigsten Indikatoren für die Lebensqualität der Menschen in Island sind.

 

Auf dieser Basis wurde 2019 ein Rahmen von 39 Indikatoren erstellt, die wirtschaftliche, soziale und ökologische Faktoren messen.

 

Die Regierung legte im gleichen Jahr sechs Prioritäten für das Wohlbefinden vor, an denen sich der Jahreshaushalt und die fünfjährige Finanzstrategie orientieren sollten (psychische Gesundheit, sicheres Wohnen, bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, keine Kohlenstoffemissionen, Innovationswachstum und bessere Kommunikation mit der Öffentlichkeit). 


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