27.08.2022

"Bobby Fischer war zweifellos ein Schachgenie"

Vor 50 Jahren gewann der Amerikaner Bobby Fischer bei der WM in Reykjavík gegen den sowjetischen Titelverteidiger Boris Spasski. DIG-Mitglied Jochen Windheuser, selbst begeisterter Spieler, hat sich in Island auf die Spuren des legendären Weltmeisters begeben.  

 

Foto 1: Jochen Windheuser (li.) mit Großmeister Helgi Ólafsson. Foto 2: Grab von Bobby Fischer. Foto 3: Guðmundur Pórarinsson, Organisator der WM 1972. © Jochen Windheuser.

 

 

DIG: Erinnern Sie sich noch an den 1. September 1972?

 

Jochen Windheuser: Ich erinnere mich an die Nachrichten, die den Sieg Bobby Fischers verkündeten. Anders als bei anderen großen Ereignissen weiß ich nicht mehr, wo ich am 1. September 1972 war und was ich an dem Tag getan habe.

 

 

DIG: Haben Sie damals schon selbst Schach gespielt?

 

Jochen Windheuser: Ich spiele seit meinem 13. Lebensjahr Schach in Clubs.  Anfang der 1970er hatte ich jedoch eine kleine „Flaute“, weil es damals wichtigere Dinge gab als das spannende Schieben von Schachfiguren. In dem Jahr habe ich zum Beispiel geheiratet.

 

 

DIG: Wie kamen Sie auf die Idee, auf den Spuren von Bobby Fischer nach Island zu reisen?

 

Jochen Windheuser: Spätestens seit 2010 bin ich begeistert von dem Land, angesteckt von meiner Frau, die Islandpferde liebt. Wir waren oft dort, manchmal mehrere Monate. Einmal stießen wir auf das kleine Bobby-Fischer-Center in Selfoss sowie auf sein unscheinbares Grab ganz in der Nähe (Foto 2), und ich lernte die Geschichte von Fischers letzten Lebensjahren, die er auf Island verbrachte, kennen – unter anderem durch das Buch Bobby Fischer Comes Home seines kritischen Freundes und Wegbegleiters, des Schachgroßmeisters Helgi Ólafsson. Ihn habe ich dann auch persönlich kennengelernt, und er stand uns bei unserer Reise einen Tag lang zur Verfügung.

 

Aus meiner Island-Begeisterung ist auch ein Buch entstanden, ein Roman Ingólfur, der im Island des 13. Jahrhundert spielt und viel von Landschaft und Menschenschlag erzählt.

 

 

DIG: Nach dem Corona-Schachmatt ging es dann mit einem Jahr Verspätung endlich los. Was stand auf dem Programm?

 

Jochen Windheuser: Schach natürlich: Bobby-Fischer-Center, das Grab, Begegnung mit Helgi, dann in Reykjavík Besuch der Spielstätte von 1972, geführt von dem 82-jährigen Guðmundur Pórarinsson, der damals die WM organisiert hat und viele verrückte Anekdoten zu erzählen hatte (Foto 3). Wir haben aber auch viele Tage in der atemberaubenden isländischen Natur verbracht, zum Beispiel im hoch gelegenen Gebiet heißer Quellen im Kerlingar-Gebirge. Und den damals und jetzt wieder aktiven Vulkan Fagradalsfjall haben wir selbstverständlich auch besucht, wenn auch mit Pech: Genau an dem Nachmittag spuckte er gerade nicht!

 

 

27.08.2022 | Foto: Unsplash

Mitten im Kalten Krieg fordert der Amerikaner Bobby Fischer 1972 den siebenfachen sowjetischen Weltmeister Boris Spasski heraus. Ein spektakuläres Schachduell in Reykjavík, bei dem es um weit mehr als den Titel geht. Mehr

 


 

 

DIG: Im Sommer 1972 blickte die Welt auf Island. Ist Bobby Fischer dort deshalb heute noch so populär?

 

Jochen Windheuser: Ja, natürlich. Deshalb hat ihn ein staatlich abgesegnetes Komitee ja auch im Jahre 2004 aus der Abschiebehaft in Japan befreien und ihm die isländische Staatsbürgerschaft anbieten können. Aber aus manchen persönlichen Begegnungen und schrägen Büchern weiß ich: Die Isländer haben ein Faible für Typen, die quer zum Mainstream liegen und neben der Spur durchs Leben gehen. Es gibt alte Sagen über Unholde und Geächtete, die deren Schicksal durchaus mit einem gewissen Wohlwollen schildern. Und vor wenigen Jahren haben sie einen abgedrehten Comedian, Jón Gnarr, zum Bürgermeister der Hauptstadt gewählt, der seine Sache gar nicht schlecht machte.

 

Abgesehen davon, ist Schach seit langem in Island einfach populär. Island hat die größte nationale Dichte an Schachgroßmeistern in der Welt! Bei der Bevölkerungszahl reichen dafür schon zwei.

 

 

DIG: Zum Helden taugte Bobby Fischer eher nicht. Mit seinen kruden politischen Ansichten hatte er sich am Ende selbst ins Abseits gespielt. Was macht die Person dennoch so faszinierend?

 

Jochen Windheuser: Das Thema „Genie und Wahnsinn“ hat Leute immer schon angezogen. Und Bobby Fischer war zweifellos ein Schachgenie; manche Partien verblüffen noch heute wegen ungewöhnlicher, aber äußerst kreativer Züge. Im Leben jedoch, auch in der Schachkarriere, ist er als Mensch letztlich gescheitert.

 

Ich habe beruflich aber lange genug mit Psychologie zu tun gehabt und würde ihm auf keinen Fall eine psychische Krankheit andichten. Er ist mit einer schwierigen Ausgangslage – unvollständige Familie, zwiespältige jüdische Herkunft, typischer USA-Hype um das Schach-Wunderkind – irgendwie nicht zurechtgekommen. Und wie hart dieses Land manchmal mit unbotmäßigen Einzelgängern umgeht, kann man aktuell am Fall von Julian Assange besichtigen.

 

 

DIG: Das Treffen mit dem Schachgroßmeister und Fischer-Vertrauten Helgi Ólafsson war bei Ihrer Reise ein Muss, oder?

 

Jochen Windheuser: Wie gesagt, ich habe ihn schon vorher kennengelernt, und ich war sehr froh, dass er uns von seinen persönlichen Begegnungen mit Bobby Fischer erzählen konnte. Und auch davon, wie diese „Rettungsaktion“ politisch durchgesetzt wurde. Einer, der in Island Weltmeister geworden ist, darf nicht in amerikanischen Gefängnissen verrotten! Für die Entscheidung darüber hat die isländische Regierung samt Parlament damals nur wenige Tage gebraucht. Man vergleiche damit die Dauer mancher Entscheidungen in Deutschland.

 

 

DIG: Und gab es bei Ihrem Besuch auch ein Match zwischen Einheimischen und Reisegruppe?

 

Jochen Windheuser: Dazu ist es leider nicht gekommen, denn zeitgleich fand in Reykjavík die Europäische Einzelmeisterschaft im Schach statt. Viele isländische Schachfreunde haben das Turnier besucht, und auch wir haben uns nicht nehmen lassen, die Abschlussrunde zu verfolgen. Durch einen konsequent herausgespielten Sieg erreichte der junge deutsche Großmeister Vincent Keymer den zweiten Platz.

 

Aber Großmeister Helgi Ólafsson hat stattdessen gegen unsere kleine Delegation aus Bremen und umzu ein Simultanturnier gespielt, d.h. er spielte gleichzeitig gegen unsere gesamte Gruppe. Er besiegte alle, bis auf Arne Döscher, der in Bremerhaven wohnt und ein Remis erreichte. Ich selbst kämpfte am längsten und musste mich am Ende doch geschlagen geben (Foto 1).

 

 

DIG: Welche Erkenntnis haben Sie mitgenommen – über Bobby Fischer, Schach und das Leben?

 

Jochen Windheuser: Ich möchte den Untertitel des Buches von Helgi Ólafsson zitieren: „The Final Years in Iceland, a Saga of Friendship and Lost Illusions“. Wie viele Freundschaften basieren auf Illusionen, die man sich über den Freund, die Freundin macht! Erst wenn es gelingt, diese Illusionen aufzulösen, lernt man, was der Kern einer Freundschaft ist. Die alten Sagas aus dem isländischen frühen Mittelalter, etwa die von Njáll und seinem Freund und Widersacher Gunnar, erzählen von solchen widersprüchlichen Bindungen zwischen kantigen Charakteren. Bobby Fischer blieb auch in seinen letzten Lebensjahren störrisch, misstrauisch und eigenbrötlerisch; aber dem genialen Schachspieler Fischer hielt man auf Island freundschaftlich die Treue.

 

 

DIG: Zum Jahrestag am 1. September steht sicher eine Schachpartie an?

 

Jochen Windheuser: Am 1. wahrscheinlich nicht, aber am 2. September. Da ist unser wöchentlicher Schachabend im Schachklub Bremen-Nord.


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