27.08.2022

Kampf am Schachbrett

Vor 50 Jahren fordert der Amerikaner Bobby Fischer den sowjetischen Weltmeister Boris Spasski in Reykjavík am Schachbrett heraus. Ein spektakuläres Duell im Kalten Krieg, bei dem es um weit mehr als den Titel geht – und die Welt blickt 1972 gebannt nach Island. 

 

Spielfiguren auf einem Schachbrett. Bild von John Adeoye auf Unsplash.
Die Welt blickt auf 32 Spielfiguren: Schachweltmeisterschaft 1972 in Island. © John Adeoye auf Unsplash.

 

Der Platz ist leer – die Aufregung groß. Es fehlt: Bobby Fischer, Schachspieler aus Brooklyn und Herausforderer des sowjetischen Titelverteidigers Boris Spasski. Es ist der 1. Juli 1972, und die Eröffnungsfeier im Nationaltheater Reykjavík findet ohne den Ehrengast statt.

 

Bei der Weltmeisterschaft in der isländischen Hauptstadt geht es um weit mehr als den Titelgewinn: Die Großmächte befinden sich im Kalten Krieg, und der macht vor dem Schachbrett nicht halt. Und so wird der sportliche Zweikampf zum „Match des Jahrhunderts“. Ost gegen West, Schwarz und Weiß – die Welt blickt gebannt auf 32 Spielfiguren.  

 

Allein, der für seine Eskapaden bekannte New Yorker ziert sich. Er will mehr Geld und geänderte Wettkampfbedingungen. Fischer misstraut den sowjetischen Apparatschiks und dem Weltschachverband. Die erste Partie soll am 2. Juli beginnen, doch vom Herausforderer weiterhin keine Spur.

 

Am Ende helfen nur ein großzügiger Millionär und Präsidentenberater Henry Kissinger, der den jungen Mann per Telefon an seine patriotische Pflicht erinnert. Vietnam-Krieg, Watergate-Affäre – die US-Regierung kann positive Botschaften nur allzu gut gebrauchen. Kurzum: „Beweg deinen Hintern nach Island“.

 

Da stört es auch nicht, dass der amerikanische Hoffnungsträger ein launischer, wortkarger Eigenbrötler ist – während der höfliche Russe Spasski als „Gary Grant des Schachs“ gilt und selbst jetzt noch die Contenance wahrt.

 

Nervenkrieg in Reykjavík 

 

Hinter den Kulissen toben derweil die Funktionäre. Fischers Verhalten empfinden sie als Demütigung – sind die sowjetischen Spieler doch seit mehr als 30 Jahren auf dem Brett ungeschlagen.

 

Als das Turnier am 11. Juli in der Sporthalle Laugardalshöllin in Reykjavík endlich beginnt, kommt es denn auch, wie es kommen muss. Fischer kassiert eine Niederlage.

 

In der zweiten Runde tritt er erst gar nicht an. Ihn stören die Geräusche und die Kameras auf der Bühne. Hektik kommt auf, ein Hinterzimmer muss her. Doch Fischer weigert sich weiterzuspielen. Der größte Wettkampf aller Zeit wird zur Hängepartie.

 

In der dritten Runde unterliegt überraschend der Leningrader Spasski. Fischer, sind viele seiner Anhänger noch heute überzeugt, habe den Rivalen mit seinen Psychotricks mattgesetzt. „Nervenkrieg in Reykjavík“, titelt Der Spiegel. Der Amerikaner übernimmt die Führung – und spielt sich Zug um Zug zum Titelgewinn.

 

Sieben Wochen und 21 Runden später liegt Fischer uneinholbar vorn. Spasski gibt auf, und die Sensation ist perfekt: Am 1. September 1972 wird der Autodidakt aus Brooklyn zum Weltmeister gekürt. Die USA haben den Kampf auf dem Schachbrett für sich entschieden.

 

 

27.08.2022 | Foto: Unsplash

Vor 50 Jahren gewann Bobby Fischer in Reykjavík spektakulär gegen den sowjetischen Titelverteidiger Boris Spasski. DIG-Mitglied Jochen Windheuser, selbst passionierter Schachspieler, hat sich auf die Spuren des Weltmeisters begeben. Mehr

 


 

 

Doch zum amerikanischen Helden taugt Fischer nicht: Nach seinem Sieg taucht er ab, weil er sich von FBI und KGB verfolgt fühlte. Seinen Titel verliert er 1975 kampflos an den Russen Anatoli Karpow – ein einmaliger Vorgang in der Schachgeschichte.

 

Nur einmal noch sitzt Fischer vor den Augen der Weltöffentlichkeit am Spieltisch: 1992 trifft er bei einem hoch dotierten privaten Schaukampf in Serbien auf seinen einstigen Rivalen Boris Spasski – und gewinnt erneut mit 17,5:12,5.

 

Doch weil das Turnier im damaligen Jugoslawien stattfindet, gegen das die USA ein Wirtschaftsembargo verhängt haben, wird der Ex-Weltmeister schon bald per Haftbefehl gesucht. Fischer reist umher, lebt in Osteuropa, auf den Philippinen und in Japan.

 

Statt mit sportlichen Spitzenleistungen macht er mit wirren Radioauftritten von sich reden: Er verbreitet Verschwörungstheorien, äußert sich antisemitisch und feiert die Anschläge vom 11. September.

 

Politisches Asyl in Island

 

Als die USA 2004 Fischers Reisepass für ungültig erklären, wird er am Flughafen von Tokio verhaftet. Der Held von Reykjavík sitzt in Abschiebehaft.  

 

Eine Gruppe von Schachspielern, darunter Großmeister Helgi Ólafsson, macht sich dafür stark, den kranken US-Amerikaner nach Island zu holen. Er erhält schließlich politisches Asyl und die isländische Staatsbürgerschaft. Für die Regierung ist es eine humanitäre Geste – eine Unterstützung seiner politischen Ansichten sei das nicht.

 

Im März 2005, 33 Jahre nach seinem Triumph am Schachbrett, landet der Ex-Weltmeister in Keflavík – mit Zottelbart und gesundheitlich schwer angeschlagen. In seine Heimat reist er nie wieder. Am 17. Januar 2008 stirbt Bobby Fischer im Alter von 64 Jahren in Reykjavík.

 

Sein Grab findet sich auf dem Friedhof von Selfoss im Süden der Insel, darauf eine Handvoll Schachfiguren. Sein einstiger Rivale Spasski, inzwischen selbst im Rollstuhl, lässt auf der Trauerfeier einige Zeilen verlesen: „Bobby", schreibt er, "was my Brother“. Als Gegner hat er den gebürtigen Amerikaner nie gesehen. 

 

 

Text: Nicole Maschler 

 



 

Wer mehr erfahren möchte:

 

Helgi Ólafsson, Bobby Fischer Comes Home. The Final Years in Iceland, a Saga of Friendship and Lost Illusions, New in Chess 2012.

 

Guðmundur G. Þórarinsson, The Match of All Time. The Inside Story of the legendary 1972 Fischer-Spassky World Chess Championship in Reykjavík, New in Chess 2022.

 

David Edmons / John Eidninow, Wie Bobby Fischer den Kalten Krieg gewann. Die ungewöhnlichste Schachpartie aller Zeiten, S. Fischer Verlag 2007.

 

Julian Voloj / Wagner Willian, Bobby Fischer. Eine Schachlegende zwischen Genie und Wahnsinn, Knesebeck 2022. 


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