30.10.2022

Der Geschichtenerzähler

Friðrik Þór Friðriksson gilt als einer der kreativsten Regisseure Europas und hat den isländischen Film geprägt wie kaum ein zweiter.

Bei den 64. Nordischen Filmtagen Lübeck wird der eigenwillige Filmemacher jetzt mit dem Ehrenpreis für sein Lebenswerk geehrt.

 

Filmszene aus "Children of Nature" des isländischen Regisseurs Friðrik Þór Friðriksson. © Nordische Filmtage / icelandfilms.
Filmszene aus "Children of Nature" des isländischen Regisseurs Friðrik Þór Friðriksson. © Nordische Filmtage / icelandfilms.

 

In Radiospots hatte der junge Künstler nicht weniger als eine Monumentalverfilmung der Njáls saga (Die Sage von Njáll) angekündigt, eine der bekanntesten und beliebtesten Isländersagas. In kürzester Zeit war der angemietete Kinosaal ausverkauft.

 

Doch im ganzen Film gab es nichts weiter zu sehen als eine Hand, die zu Punk-Musik das Buch durchblättert. An der Stelle, an der das Gehöft niederbrennt, gehen die Seiten in Flammen auf. Ein kalkulierte Provokation im konservativen Reykjavík. „Die Leute waren wütend, und ich musste die Stadt verlassen.“

 

Die Anekdote sagt viel über Friðrik Þór Friðriksson, den Geschichtenerzähler, der mit seinen Regie-Arbeiten eigene Wege geht und sich nicht scheut, mit gesellschaftlichen Erwartungen zu brechen.

 

Ein Autodidakt, der sich mit Leidenschaft und Kreativität vom Außenseiter zum Star der isländischen Filmszene entwickelt und doch nie die Menschen am gesellschaftlichen Rand aus den Augen verliert.

 

Autodidakt und Filmbesessener

 

Bereits als 14-Jähriger hatte der Sohn eines armen Bauern mit 8-mm-Filmen experimentiert und in der Schule Amateur-Streifen gedreht.

 

1973 gründete er mit Freunden in einem heruntergekommenen Kino den ersten isländischen Filmclub; auf dem Programm standen Klassiker und moderne Kunstfilme – Filme, die Friðrik Þór Friðriksson selbst am meisten interessierten und die er auch seinem Publikum nahebringen wollte.

 

Von den Einnahmen kaufte er eine Filmkamera und einen Schneidetisch – und drehte ab 1975 seine ersten Dokumentar- und Experimentalfilme. 

 

Eine lange Filmtradition gab es in Island nicht und auch keine Filmhochschule. Erst 1966 war der erste – und lange Zeit einzige – isländische Fernsehkanal Sjónvarpið auf Sendung gegangen. Bis in die 1970er Jahre wurde das Programm nur mittwochs und freitags ausgestrahlt und noch bis 1983 war im Juli Sendepause. Weitere Impulse blieben zunächst aus.

 

Das änderte sich erst Ende der 1970er Jahre – und Friðrik Þór Friðriksson hatte daran nicht unerheblichen Anteil.

 

1978 gründete er mit gerade einmal 24 Jahren das Reykjavík International Film Festival und übernahm auch selbst die Leitung. Das Festival, das bis heute regelmäßig im Herbst stattfindet, bietet vor allem jungen Talenten eine Bühne und ist längst über die Landesgrenzen hinaus bekannt.

 

Ab 1980 gab Friðrik Þór Friðriksson die erste isländische Filmzeitschrift heraus und gründete mit den Einnahmen aus seinen Filmen die Icelandic Film Corporation, um die entstehende Filmszene in Island zu fördern.

 

Durchbruch mit Children of Nature

 

1991 gelang ihm mit Children of Nature (Börn náttúrunnar) der internationale Durchbruch. Der Film erzählt von dem alten Bauern Geiri und seiner Jugendliebe Stella, die aus dem Heim ausreißen und sich in einem gestohlenen Jeep zum Ort ihrer Kindheit aufmachen.

 

Für das Drama wurde er 1992 als erster und bislang einziger isländischer Regisseur für den Oscar nominiert.

 

Es folgen die Filme Movie Days (1994) und Cold Fever (1995). Auch sie ebenso poetische wie surreale Filme, die mit den isländischen Mythen spielen. „Im Traum driftet man ab und kommt in eine andere Welt – das nütze ich für meine Arbeit", sagte Friðrik Þór Friðriksson einmal.

 

So verschwindet ein Auto in der Landschaft, und auch Figuren lösen sich in Luft auf. „Es ist nur ein Geist“, beruhigt Geiri seine Begleiterin in Children of Nature.

 

Wie nah Traum und Realität in Friðrikssons Filmen beieinander liegen, zeigt auch Engel des Universums (2000) nach dem Roman von Einar Már Guðmundsson – ein Film über gesellschaftliche Außenseiter in der Psychiatrie, der auf einer wahren Geschichte beruht.

 

Poetische Bilder und glasklare Gesellschaftsanalyse

 

In seinem Sozialdrama Teufelsinsel nach dem Roman von Einar Kárason (1996) beschreibt Friðriksson die Tristesse einer Barackensiedlung am Rande von Reykjavík und verbindet dabei die magische Welt Islands mit persönlichem Erleben und glasklarer Gesellschaftsanalyse.

 

Heute gilt Friðrikson als wichtigster isländischer Filmemacher, seine Produktionsfirma ist an fast allen isländischen Produktionen beteiligt; auch bei Lars von Triers Dancer in the Dark (2000), in dem Sängerin Björk erstmals als Schauspielerin in Erscheinung trat, war er Koproduzent.

 

Empathie, Einfühlungsvermögen und ein besonderer Humor kennzeichnen alle seine Werke. Der Blick des Wikingers – Das magische Kino des Friðrik Þór Friðriksson hat der langjährige Arte-Redakteur Alexander Bohr seinen Dokumentarfilm über den isländischen Regisseur genannt.

 

„Friðrik hat das neue isländische Kino geprägt wie kein anderer“, sagt denn auch Thomas Hailer, Künstlerischer Leiter der Nordischen Filmtage Lübeck, die Friðrik Þór Friðriksson jetzt mit dem Ehrenpreis für sein Lebenswerk ehren. „Wir freuen uns und sind stolz, dass wir ihn zur Verleihung des Ehrenpreises wieder in Lübeck begrüßen dürfen.

Im Rahmen ihrer Hommage präsentieren die Nordischen Filmtage Lübeck fünf Filme von Friðrik Þór Friðriksson:

 

Children of Nature (1992) 

Movie Days (1994)

Cold Fever (1995)

Engel des Universums (2000) 

Mamma Gógo (2010) 

 

Kartenvorverkauf ab Samstag, 29.10.2022,

im CineStar Stadthalle oder unter nordische-filmtage.de



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