30.01.2022

Ein Königreich für die Freiheit

In Hundstagekönig schildert Einar Már Guðmundsson die Lebensgeschichte von Jörgen Jörgensen, der das Abenteuer suchte und zum König von Island wurde. Eine vergessene Episode der Weltgeschichte, die der Insel eine Moment der Unabhängigkeit bescherte.

 

Blick auf den Berg Vestrahorn im Süden Islands. Bild von Norris Niman auf Unsplash.
Eine Krone für den König. © Norris Niman auf Unsplash.

 

Hundstagekönig wird Jörgen Jörgensen noch heute auf Island genannt. Denn seine kurze Regentschaft fiel in den heißen Sommer des Jahres 1809. Ein kühnes Unternehmen in einem an Abenteuern reichen Leben.

 

Nicht mehr als eine Fußnote der Geschichte, und doch eröffnet uns Einar Már Guðmundsson in seinem gleichnamigen Buch eine ganze Welt: die Zeit der Napoleonischen Kriege, die Europas Ordnung erschüttern und Island eine kurze Periode der Unabhängigkeit bescheren.

 

Eine klassische Biografie ist Hundstagekönig nicht. Der Erzähler schweift ab, nimmt vorweg, blickt zurück, führt uns von Kopenhagen nach Reykjavík, London, Tasmanien und zurück.

 

Auf dem Weg begegnen wir unzähligen Personen: Gönnern, Geliebten, Widersachern und deren Entourage – eine schier unüberblickbare Fülle von Figuren.

 

Doch das mindert das Lesevergnügen nicht. Denn Guðmundsson ist ein begnadeter Erzähler, witzig, klug und originell.  

 

Und so folgen wir einem Helden, der keiner ist, der säuft, spielt, lügt und betrügt. Ein Hochstapler und Hazardeur, den gerade seine Schwächen sympathisch machen.

 

Isländischer Literaturpreis für Guðmundsson

 

Immer wieder mischt sich der Erzähler ein, philosophiert, kommentiert. Das ist so voller Komik und Leichtigkeit, dass Guðmundsson dafür 2015 den Isländischen Literaturpreis erhielt. Nun liegt das Buch auch auf Deutsch vor. 

 

So unglaublich jede einzelne Episode erscheint, sind die Fakten doch historisch belegt. Guðmundsson hat eine Vielzahl von Quellen studiert, Gerichtsakten, Briefe, Reiseberichte und Memoiren. Auf 400 Seiten verknüpft er sie virtuos zu einer abenteuerlichen Reise in die Geschichte.

 

Jörgen Jörgensen, 1780 als Sohn des Hofuhrmachers in Kopenhagen geboren, umsegelt früh die Weltmeere. Zurück in Europa, gerät er in den Wirren der Napoleonischen Kriege und wird 1807 als „Kriegsgefangener auf Ehrenwort“ in London festgesetzt.

 

Allein, mit dem Ehrenwort ist das bei Jörgensen so eine Sache. Lieber schließt er sich dem Seifenfabrikanten Samuel Phelps an, der die Kapitulation Dänemarks nutzen und in den Island-Handel einsteigen will.

 

Im Juni 1809 trifft das Schiff im Hafen von Reykjavík ein. Die Seeleute stürmen den Sitz des Gouverneurs. Während Seifenhändler Phelps sich um seine Geschäfte kümmert, überlässt er dem jungen Dänen die Verwaltung Islands.

 

Ein Königreich für die Freiheit

 

Jörgensen, der wenig auf sein Geburtsland hält, schafft per Dekret kurzerhand die dänische Herrschaft ab. Alle königlichen Beamten und Handelsvertreter stehen unter Hausarrest, die Warenlager werden konfisziert, die staatlichen Kassen ebenso.

 

Über Reykjavík weht nun eine isländische Flagge: weiße Stockfische auf blauem Grund.

 

Bis zur Wahl einer Nationalversammlung will der selbsternannte „Schutzherr Islands“ interimsweise regieren. Ein Königreich für die Freiheit.

 

Doch mit seinen Ideen steht Jörgensen allein da. Demokratische Ideen und ein Nationalbewusstsein sind auf der abgelegenen Insel Fremdwörter. Es soll noch 20 Jahre dauern, bis die isländische Unabhängigkeitsbewegung erwacht und ein weiteres Jahrhundert, bis sich das Land tatsächlich von Dänemark löst.

 

Und so bleibt das souveräne Island vorerst Episode.

 

Im August läuft ein britisches Kriegsschiff im Hafen ein. Mit Erstaunen sieht der Kapitän die isländische Flagge.

 

Die Regentschaft endet so plötzlich, wie sie begann. Jörgensen kehrt als Gefangener nach England zurück – fortan ein König ohne Königreich.

 

Ein moderner Schelmenroman

 

Die nächsten Jahre verbringt er in Gefängnissen, an Spieltischen oder in geheimer Mission auf dem Kontinent. Sein Lebenswandel ist so unstet wie die Zeiten, und schon bald kommt er wegen Betruges erneut in Haft.

 

1825 wird er nach Australien verbannt, wo er Entdeckungsreisen ins Inselinnere unternimmt, Reiseberichte, Abhandlungen und Zeitungsartikel schreibt. Auch um diese Jahre ranken sich Anekdoten und Legenden.

 

Verarmt und verwahrlost, stirbt er 1841 in Hobart. Sein isländisches Königreich wird er nicht wiedersehen.

 

Hundstagekönig ist ein moderner Schelmenroman. Die Geschichte eines Abenteurers, der das Glück noch im letzten Winkel der Erde sucht, und das Spiegelbild einer Gesellschaft, die den hofiert, der ihren Zwecken dient.

 

Durch sein Scheitern wird Jörgensen zur tragischen Figur – und fasziniert doch bis heute wegen seiner Nonkonformität.

 

 

Text: Nicole Maschler 

 

Einar Már Guðmundsson

Hundstagekönig

btb-Verlag 2021

416 Seiten