02.01.2022

Höllenfahrt

In Sturmvögel erzählt Einar Kárason vom Fischfang unter heute unvorstellbaren Bedingungen. Vor Neufundland gerät ein isländischer Trawler in schwere See – und die Mannschaft ist im Kampf gegen die Natur auf sich gestellt. Eine Geschichte von Leben und Tod.

 

Blick von einem Schiff auf stürmische See. Bild von Torsten Dederichs auf Unsplash.
Allein in stürmischer See: die Mannschaft des isländischen Trawlers "Mávur". © Torsten Dederichs auf Unsplash.

 

Das Schiff gleicht einem Gletscher. Mit jeder Welle wächst der weiße Berg. Seile so dick wie Abwasserrohre und das Deck spiegelglatt.

 

Anfang Februar 1959 gerät der isländische Trawler Mávur vor Neufundland in schwere See – beinahe da, wo einst die Titanic unterging. Bei Minusgraden überziehen tosende Wassermassen das Schiff, in Sekunden ist alles gefroren.

 

Unter dem Gewicht des Eises droht das Boot in den meterhohen Wellen zu versinken – und mit ihm die 32 Seeleute an Bord.

 

Auf gerade einmal 140 Seiten schildert Islands bekanntester Gegenwartsautor Einar Kárason den verzweifelten Versuch der Mannschaft, den Trawler vom Eis zu befreien und in ruhigere Gewässer zu manövrieren.

 

Auf Hilfe können die Männer in der stürmischen See nicht hoffen. Kein anderer Frachter weit und breit. Die Notrufe laufen ins Leere, bis auch die Schiffsantenne vereist. Und so ist die Besatzung im Kampf gegen die Natur auf sich gestellt.

 

Kárason konzentriert seine Erzählung auf wenige Figuren, deren Vorgeschichte er in kurzen Rückblenden schildert: den jungen Lárus, der wie sein Vater unbedingt an Bord eines Schiffes wollte; den unerschrockenen Bootsmann, der sich freiwillig für die gefährliche Arbeit an Deck meldet; den Kapitän, der stoische Ruhe bewahrt, weil er weiß, dass seine Leute nur so eine Chance haben.

 

Indem der Autor das Geschehen derart verdichtet, wird die klaustrophobische Enge an Bord nahezu körperlich spürbar.

 

Mit Brechstangen und Äxten versuchen die Männer, das kleine Schiff vom tonnenschweren Eis zu befreien. Doch kaum sind einzelne Brocken gelöst, überziehen die Wassermassen das Boot von neuem, und die Eisdecke ist mächtiger als zuvor.

 

Die gewaltigen Brecher machen die Arbeit zu einem lebensgefährlichen Unterfangen, schließlich bietet das spiegelglatte Eis keinen Halt.

 

Für die Seeleute gibt es nur kurze Atempausen, essen, schlafen, dann die nächste Schicht. Dabei waren die meisten schon am Ende ihrer Kräfte, als der Sturm begann.

 

Von Seemannsromantik keine Spur

 

Eindringlich beschreibt Kárason die Härte des Schiffsalltags. Er weiß, wovon er spricht, ist er doch selbst zur See gefahren, und mit der Geschichte der Mávur knüpft er an reale Ereignisse an.

 

Auf der Suche nach neuen Fanggründen schickten Reedereien ihre Schiffe in den 1950er Jahren in immer tiefere Gewässer. Tagelang schufteten die Besatzungen, bis die Lagerräume gefüllt waren und die Schiffe mit ihrer verderblichen Fracht schnellstmöglich wieder den Hafen ansteuerten. 

 

Ein Kampf um den Fisch, von Seemannsromantik keine Spur.

 

Jetzt kämpfen die Männer ums Überleben, den Wellen schutzlos ausgeliefert.

 

Während der junge Lárus trotz seiner Angst tapfer das Steuer und den Kurs hält, werden gestandene Seefahrer von Kälte und Erschöpfung übermannt, bis sie verzweifelt zusammenbrechen und auch die letzte Hoffnung schwindet. 

 

Doch das Wunder, an das keiner mehr glaubt – es geschieht. Nach einem waghalsigen Manöver gelingt es, das Schiff in ruhigere Gewässer zu bugsieren, und am Ende kehren alle Kameraden in den Heimathafen zurück.

 

Allein, die Ereignisse prägen sie für immer. „Zweiunddreißig waren wir an Bord gewesen, erfahrene Seemänner oder solche, die es werden wollten, doch nur acht von uns trauten sich hiernach noch einmal auf See.“

 

Einar Kárasons Buch ist denn auch weit mehr als ein Seeabenteuer. Es ist eine Geschichte über das Leben und den Tod, über Naturgewalten, Glauben und Schicksal. 

 

 

Text: Nicole Maschler