29.05.2024
Islands neuer Premierminister gilt als politisches Stehaufmännchen. Nachdem die bisherige Amtsinhaberin Katrín Jakobsdóttir als Präsidentin kandidiert, hat Bjarni Benediktsson es erneut bis an die Spitze der Regierung geschafft – allen Skandalen zum Trotz.
Bjarni Benediktsson ist seinem Ruf erneut gerecht geworden. Islands neuer Premierminister gilt als politisches Stehaufmännchen. Bereits 2017 stand er an der Spitze der Regierung, musste seinen Posten jedoch nach einem handfesten politischen Skandal aufgeben. Das Steuer übernahm Katrín Jakobsdóttir von der Links-Grünen Bewegung, die kleinste der drei aktuellen Koalitionsfraktionen.
Doch nachdem Staatschef Guðni Th. Jóhannesson angekündigt hatte, bei den Präsidentschaftswahlen am 1. Juni 2024 kein weiteres Mal zu kandidieren, trat die Premierministerin Anfang April von ihrem Amt zurück und warf ihren Hut in den Ring.
Was folgte, war eine bemerkenswerte Rochade in Islands Kabinett. Bjarni Benediktsson übernahm die Aufgabe des Regierungschefs; Wirtschafts- und Finanzministerin Þórdís Kolbrún Reykfjörð Gylfadóttir wechselte zurück ins Außenministerium.
Vergessen die kritische Stellungnahme des parlamentarischen Ombudsmann im AlÞing zu den Vorgängen um die Privatisierung der Islandsbanki und Benediktssons fragwürdige Rolle dabei, die im Oktober 2023 zu seinem Rücktritt als Wirtschafts- und Finanzminister geführt hatte. Ein erstaunlicher Fall von politischer Amnesie.
Kein Platz in der zweiten Reihe
Offenkundig wollte sich der machtbewusste Politiker nicht noch einmal mit einem Platz in der zweiten Reihe begnügen. Schließlich verfügt die konservative Unabhängigkeitspartei (Sjálfstæðisflokkurinn), der er seit 2009 vorsitzt, über die meisten Sitze im Parlament und ist damit gewissermaßen natürlicher Anwärter auf das Amt des Regierungschefs.
2017 hatte Benediktsson der beliebten Jakobsdóttir nur deshalb den Vortritt gelassen, weil er nach dem Scheitern der von ihm geführten Regierung gegenüber dem Wahlvolk nicht mehr vermittelbar erschien. Denn auch dem Koalitionsbruch im September 2017 war ein politischer Skandal vorausgegangen, der Benediktsson in kein gutes Licht rückte.
Sein Vater Benedikt Sveinsson, ein politisch bestens vernetzter Geschäftsmann, hatte sich in einem Empfehlungsschreiben für die „Wiederherstellung der Ehre“ eines verurteilten Pädophilen eingesetzt; der Unabhängigkeitspartei und ihrem Vorsitzenden wurde vorgeworfen, sie habe die Urheberschaft des Schreibens vertuschen wollen.
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Bereits zuvor war Benediktsson politisch angeschlagen, stellte sich doch im Zuge der Veröffentlichung der sog. Panama Papers im Frühjahr 2016 heraus, dass er als Generalbevollmächtigter der Offshore-Gesellschaft Falson & Co. tätig war. Noch im Februar 2015 hatte er in einer Fernsehsendung gesagt, er habe „nie irgendwelche Anlagen in Steueroasen oder dergleichen gehabt“. Offenbar ein Fall von chronischem Gedächtnisverlust.
Im Rückblick mutet Katrín Jakobsdóttirs Amtszeit wie ein Zwischenspiel an. Seit der Unabhängigkeit 1944 ist Island meist konservativ und mit mehr oder weniger klaren Mehrheiten regiert worden. Diese Tendenz scheint sich nun erneut zu bestätigen.
Denn in den Umfragen landete die Links-Grüne Bewegung zuletzt weit abgeschlagen hinter allen anderen Kräften und muss gar fürchten, bei künftigen Wahlen an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern.
Politische Wiederauferstehung
Die Empörung über Benediktssons politische Wiederauferstehung hingegen hielt sich in Grenzen. Zwar unterzeichneten bis Mitte April 2024 mehr als 17.000 Menschen eine Petition gegen den neuen Premierminister.
Doch ein Misstrauensantrag der populistischen Volkspartei (Flokkur fólksins) sowie von Abgeordneten der Piratenpartei (Þíratar), in dem sie die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen im Herbst forderten, scheiterte Mitte April erwartungsgemäß.
Der neue Premierminister verspricht indes eine stabile Regierung und will den Schwerpunkt auf Energiesicherheit, den Kampf gegen hohe Preise und Inflation sowie die wachsende Zuwanderung legen. Wie es aussieht, hat sich die Methode Benediktsson erneut bewährt.
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