22.09.2022

Gedenken an tote Seeleute

In Vík í Mýrdal im Süden Islands erinnert ein Gedenkstein an die deutschen Seeleute, die zwischen 1898 und 1952 auf Fangfahrt im Norden ums Leben kamen. Vor 20 Jahren wurde es eingeweiht – als Ehrenmal und Symbol für die deutsch-isländische Freundschaft. 

 

Hölzernes Schiffswrack an einem isländischen Strand. Bild von Trade Harter auf Unsplash.
Tod im Meer: Mehr als 1.200 deutsche Seeleute starben in den Gewässern vor Island. © Tradd Harter auf Unsplash.

 

Es ist frühmorgens um 3 Uhr, als der Fischdampfer Friedrich Albert den Hafen von Geestemünde verlässt. An Bord sind Kapitän Georg Buschen, Steuermann Rudolph Bojahr und zehn Mann Besatzung.  

 

Fünf Tage später, am 18. Januar 1903, werfen die Männer vor der Südwestspitze Islands die Schleppnetze aus. Die Ausbeute ist gering; am nächsten Tag soll es zu einem anderen Fangplatz gehen. Doch in der Nacht kommt Sturm auf, und ein starker Sog wirft den Trawler quer auf den Strand.

 

In Eiseskälte irren die Männer tagelang umher, gefangen zwischen Sumpf, Lava-Geröll und Gletscherströmen. Drei Seeleute erfrieren, darunter Steuermann Bojahr. Erst nach elf Tagen erreichen die Überlebenden das Gehöft Ormstadur, fast 50 Kilometer vom Wrack entfernt.

 

Mehr als 80 deutsche Fischdampfer gingen zwischen 1898 und 1952 vor Island verloren, und über 1.200 Seeleute kamen ums Leben – starben an Deck, gingen über Bord oder versanken mit ihren Schiffen.

 

An ihr Schicksal erinnert ein Gedenkstein in Vík í Mýrdal im Süden der Insel, der zugleich die isländischen Retter würdigt, die vielen Schiffbrüchigen zu Hilfe kamen. Vor 20 Jahren, am 15. September 2002, wurde das Ehrenmal feierlich eingeweiht.

 

Ein Kampf ums Überleben

 

Seit der Jahrhundertwende war die deutsche Hochseefischerei untrennbar mit Island verbunden. Auf der Suche nach neuen Fanggründen schickten Reedereien ihre Schiffe auf die gefährliche Tour.

 

Tagelang schufteten die Besatzungen, bis die Lagerräume gefüllt waren – essen, schlafen, dann die nächste Schicht. Das raue Wetter machte die Arbeit an Bord zu einem lebensgefährlichen Unterfangen – boten die offenen Decks doch vor allem im Winter kaum Schutz gegen die mächtigen Wellen.

 

Ungenaue Seekarten, unsichere Landmarken und die mangelhafte Befeuerung der Küsten erschwerten die Navigation. Ein Kampf ums Überleben, von Seemannsromantik keine Spur.

 

Nach der Havarie der Friedrich Albert ließ der deutsche Konsul in Reykjavík, Ditlev Thomsen, die ersten Schutzhütten errichten – mit Lebensmitteln, Brennmaterial und medizinischer Notversorgung.

 

Allein, das Sterben hatte damit kein Ende. Als letzter deutscher Fischdampfer ging 1952 die N. Ebeling aus Bremerhaven vor Island verloren, mit 20 Mann an Bord.

 

Die zahlreichen Gräber auf Friedhöfen entlang der isländischen Küste zeugen noch heute von diesen Tragödien. 

22.09.2022 | Foto: DIG

Wir haben mit Einar Freyr Elínarson, dem Bürgermeister im Bezirk Mýrdalshreppur, zu dem Vík gehört, über das Ehrenmal und das gemeinsame Erinnern gesprochen. Mehr

 


Mitte der 1990er gründeten einstige Seeleute und Beschäftigte der Fischindustrie einen Arbeitskreis am Deutschen Schifffahrtsmuseum, um die Geschichte der deutschen Hochseefischerei aufzuarbeiten.

 

So entstand die Idee zu dem Gedenkstein – als Erinnerung an die Opfer und Symbol für die deutsch-isländische Freundschaft. Für unseren Verein war es ein besonderes Anliegen, das Projekt zu unterstützen.

 

Nach vielen Diskussionen und Verhandlungen mit deutschen und isländischen Stellen nahm der Gedenkort langsam Gestalt an: ein Granitfels aus Norddeutschland sollte es sein, umrahmt von dunkelgrauen Basaltsäulen aus Island.

 

Auf Bronzetafeln ein gestrandeter Fischdampfer und die Inschrift in Deutsch und Isländisch:

 

Zum Gedenken an die Seeleute, die in der deutschen Islandfischerei ihr Leben verloren.

In Dankbarkeit und Hochachtung den Isländern, die viele Schiffbrüchige retteten.

 

Die DIG richtete ein Spendenkonto ein, um den Transport des tonnenschweren Findlings aus dem Landkreis Cuxhaven nach Island zu finanzieren, und dank der tatkräftigen Unterstützung der Gemeinde und des Museums Brydebud konnte das Ehrenmal schon bald an der Südspitze Víks errichtet werden.

 

Einweihung durch Islands Parlamentspräsident

 

Am 15. September 2002 wurde die Gedenkstätte in Anwesenheit des isländischen Parlamentspräsidenten Halldór Blöndal sowie mehrerer Gemeindebürgermeister eingeweiht. Aus Deutschland reiste eine 26-köpfige Delegation an, darunter Mitglieder der Deutsch-Isländischen Gesellschaft sowie des Arbeitskreises Geschichte der deutschen Hochseefischerei.

 

In Bremerhaven fand am selben Tag ein Gedenkgottesdienst statt, um an dieses berührende Kapitel deutsch-isländischer Geschichte zu erinnern.

 

Eine „bewegte“ Geschichte hat auch die Gedenkstätte selbst. Bei einem Frühjahrssturm 2005 drohte sie im aufgepeitschten Wasser zu versinken.

 

Die Bewohner:innen von Vík sicherten die Anlage und verlegten sie schließlich 100 Meter weiter landeinwärts. Ein großartiger Einsatz der Isländerinnen und Isländer, denen unser Dank gebührt.

 

Selbstlos waren auch die armen Bauern, die den Überlebenden der Friedrich Albert vor nunmehr fast 120 Jahren ein Obdach boten und die Verletzten pflegten, bis sie die achttägige Reise nach Reykjavík antreten konnten.

 

Über Stavanger im Südwesten Norwegens und Hamburg kehrten Kapitän Buschen und seine Mannschaft am 1. März 1903 nach Geestemünde zurück. 



 

Wer mehr erfahren möchte:

 

Ingo Heidbrink, Hilda Peters, Werner Beckmann, Gestrandet unter Island. Schiffsverluste und Seeunfälle der deutschen Hochseefischerei an der isländischen Südküste (hrsg. für den Arbeitskreis Geschichte der deutschen Hochseefischerei am Deutschen Schiffahrtsmuseum), Bremerhaven 2002.


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