29.05.2024
Am 1. Juni 2024 wählt Island einen neuen Präsidenten. Amtsinhaber Guðni Th. Jóhannesson tritt nicht noch einmal an. Viele werden den Abschied bedauern. Denn der politische Quereinsteiger hat sich in den vergangenen acht Jahren jede Menge Respekt erarbeitet.
In Island ist die Präsidentenwahl eine recht klare Angelegenheit: Wer die meisten Stimmen erhält, gewinnt. Der letzte Urnengang 2020 fiel dann aber selbst für isländische Verhältnisse überraschend deutlich aus.
Fast alle, die wählen gingen, votierten für den amtierenden Präsidenten: Am Ende kam Guðni Th. Jóhannesson auf satte 92,2 Prozent. Mehr Stimmen erhielt vor ihm nur Vigdís Finnbogadóttir, Islands legendäre Präsidentin, die 1980 als erste Frau weltweit an die Spitze eines Staates gewählt wurde.
Bereits 2016 war Jóhannesson ein ähnliches Kunststück gelungen: Auf dem Höhepunkt einer der schwersten politischen Krisen seit dem Zweiten Weltkrieg schaffte er als Quereinsteiger den Sprung ins höchste Staatsamt und zog als jüngster Präsident Islands in den Amtssitz Bessastaðir ein.
Jóhannesson dürfte klar gewesen sein, worauf er sich einlässt – hatte er doch bis dahin als Universitätsprofessor im In- und Ausland zur modernen Geschichte Islands geforscht und Studien zur isländischen Präsidentschaft sowie zur Finanzkrise 2008 veröffentlicht.
Ein Historiker, der nebenbei Stephen-King-Romane ins Isländische übersetzte und den seine Landsleute aus dem Fernsehen kannten; dort hatte er als Experte ruhig und freundlich die Geschehnisse rund um die sog. Panama Papers kommentiert.
Die Enthüllungen um undurchsichtige Offshore-Geschäfte führten zum Rücktritt von Premierminister Sigmundur Davíð Gunnlaugsson, dem vorgeworfen wurde, an einer Briefkastenfirma beteiligt gewesen zu sein. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik erreichte einen neuen Tiefpunkt.
Parteiloser Kandidat
Jóhannesson gehörte keiner Partei an, die Ansichten des wohl als linksliberal zu bezeichnenden Polit-Neulings galten als moderat – ein überparteilicher Kandidat, der nicht mit zugespitzten Aussagen auffiel.
Wie in Deutschland hat der Präsident in Island eine weitgehend repräsentative Rolle. Er kann allerdings umstrittene Gesetze verhindern und eine Volksabstimmung anberaumen.
Er sei angetreten, das Land zu einen, begründete der fünffache Vater denn auch seinen Wechsel in die Politik. Eine Rolle, die Jóhannesson wie auf den Leib geschrieben schien. Der Präsident solle ein Symbol der nationalen Einheit sein und sich aus hitzigen Debatten im Land heraushalten, betonte er. Kritiker warfen ihm Farblosigkeit vor.
Dabei hat der 55-Jährige dezidierte Meinungen: Einen Beitritt Islands zur Europäischen Union etwa lehnt er ab. „Wir möchten die Souveränität nicht verlieren, zudem wäre unsere Fischerei gefährdet. Aber uns sind gute Beziehungen zur EU wichtig“, begründete er seine Haltung in einem Interview.
20.04.2022 | Unsplash
2016 zog die gebürtige Kanadierin Eliza Reid in den isländischen Präsidentensitz ein – als Frau an der Seite von Staatschef Guðni Th. Jóhannesson. Seither nutzt sie ihr Amt, das es offiziell gar nicht gibt, um Frauen Gehör zu verschaffen. Mehr
Für seine Überzeugungen steht Jóhannesson ein. Nach Berichten über den Missbrauch von Kindern an einer katholischen Schule trat er aus der Kirche aus. Die ihm seit Amtsantritt zugesprochenen Gehaltssteigerungen spendete er für wohltätige Zwecke.
Klüngelwirtschaft ist ihm zuwider. „Alle (in Island) kennen einander, diese Nähe ist gefährlich. Wie soll man einem Banker sagen, er habe sich schlecht verhalten, wenn man mit ihm zur Schule ging? Wenn es dein Cousin ist?“
Genau diese Gradlinigkeit schätzen die Menschen in Island an ihm. Jóhannesson übernahm das Amt mit großem Vertrauensvorschuss – und hat sich aus ihrer Sicht als die richtige Wahl erwiesen.
Einer, der uneitel, authentisch und herrlich unorthodox ist. Ein eingefleischter Fußball- und Heavy-Metal-Fan – und zugleich ein Feminist, der sich zusammen mit seiner Frau, der gebürtigen Kanadierin Eliza Reid, für Fortschritte bei der Gleichstellung stark macht.
In seine Amtszeit fielen die Corona-Pandemie, der Angriff Russlands auf die Ukraine und ein massiver Wirtschaftseinbruch mit einer Inflationsrate von zeitweise bis zu 10 Prozent. Ungemütliche Zeiten.
"Der freundliche Präsident von nebenan"
Aber „der freundliche Präsident von nebenan“, wie die Neue Zürcher Zeitung ihn einmal betitelte, hatte offensichtlich ein feines Gespür dafür, wie er mit der geliehenen Macht umzugehen hat.
Das beweist auch seine Entscheidung, nicht noch einmal für das höchste Staatsamt zu kandidieren.
Kein spontaner Entschluss – hatte er doch bereits 2016 erklärt, dass er die Position höchstens drei Wahlperioden lang bekleiden wolle. Nun werden es lediglich zwei Legislaturen sein. Nur Islands erster Präsident, Sveinn Björnsson, der 1952 nach sieben Jahren an der Staatsspitze verstarb, war kürzer im Amt.
Es sei für niemanden gesund, sich für unersetzlich zu halten, begründete Jóhannesson seinen Schritt in der Neujahrsansprache. Ein Politiker mit Prinzipien.
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