20.04.2022

Taschentricks einer First Lady

2016 zog die gebürtige Kanadierin Eliza Reid in Islands Präsidentensitz ein – als Frau von Staatschef Guðni Th. Jóhannesson. Seither nutzt sie ihr Amt, das es offiziell gar nicht gibt, um Frauen Gehör zu verschaffen. Nun hat sie ein spannendes Buch dazu geschrieben.

 

Zwei Handtaschen vor einer Leinwand. Bild von Maryna Yaborough auf Unsplash.
Mehr als ein hübsches Accessoire: Islands First Lady Eliza Reid kritisiert alte Rollenmuster. © Maryna Yaborough auf Unsplash.

 

„Ich bin nicht die Handtasche meines Mannes.“ Ein Facebook-Post, mit dem Eliza Reid im Sommer 2019 weltweit für Aufsehen sorgte.

 

Mit ihrer Kritik an der Rolle der „ungewählten, unbezahlten“ Gattinnen von Staatschefs begab sich die gebürtige Kanadierin auf dünnes Eis. Denn Reid, die seit 2003 in Island lebt und nach ihrem Umzug zunächst als freie Journalistin arbeitete, ist mit dem isländischen Präsident Guðni Th. Jóhannesson verheiratet.

 

Nach den Enthüllungen über die Panama Papers, die auch seinen Vorgänger in Erklärungsnot brachten, hatte der Politik-Neuling als unabhängiger Bewerber kandidiert und war prompt in den Präsidentensitz eingezogen – und Eliza Reid wurde unverhofft zur Ersten Dame im Staat.

 

Seither nutzt sie ihr Amt, das es offiziell gar nicht gibt, um sich und anderen Frauen Gehör zu verschaffen. Nun hat die 47-Jährige ein bemerkenswertes Buch über Islands Frauen geschrieben – und bricht einmal mehr mit den Erwartungen an eine First Lady.

 

Auf der Suche nach den Geheimnissen der Sprakkar

 

Sprakkar – das alte isländische Wort, das dem Buch seinen Titel gab – steht für außergewöhnliche Frauen, und davon gibt es in Island einige. Einst wählte das Land die erste Präsidentin der Welt; heute steht die Insel regelmäßig an der Spitze des globalen Gleichstellungsreports, und Emanzipation wird schon in der Schule gelehrt.

 

Mit dem Blick der Zugereisten begibt sich Reid auf die Suche nach Gründen, weshalb ihre Wahlheimat als Vorbild in Sachen Gleichberechtigung dasteht, und spricht dazu mit Frauen im ganzen Land.

 

Da ist Bäuerin Heida, die sich mutig Investoren entgegenstellte, die auf ihrem Land Kraftwerke bauen wollen, oder Seefrau Dóra, die den Beinamen „Fisch-Flüsterin“ trägt, weil sie mehr fängt als alle Seemänner im Ort. Den Rapperinnen der Band The Daughters of Reykjavík nähert sich Reid ebenso neugierig und ohne Scheuklappen wie Ragga, die früher Sex-Coach war und noch immer offene Worte schätzt.

 

Das gilt auch für Eliza Reid selbst, und so erhalten wir unterhaltsame Einblicke in das private Leben der Präsidentenfamilie, das mitunter recht alltäglich erscheint.

 

Das Tagebuch-Protokoll einer ganz gewöhnlichen Nacht mit vier Kleinkindern, das allen gestressten Müttern aus der Seele sprechen dürfte, die Google-Suche nach dem korrekten Knicks für den ersten Staatsbesuch – es sind Anekdoten wie diese, die das Buch so erfrischend machen.

 

Es lebt von persönlichen Erfahrungen – Reids eigenen und denen der Frauen, mit denen sie spricht. Aber es beschränkt sich nicht auf den privaten Bereich, sondern nimmt auch gesellschaftliche Faktoren in den Blick.

 

Die kleine Insel mit ihren 370.000 Menschen sei wie ein gesellschaftliches Versuchslabor. Vieles lasse sich hier schneller umsetzen: bezahlte Elternzeit für beide Partner, Kinderbetreuung schon für die Kleinsten, umfassende Gesundheitsfürsorge für alle. Soziale Errungenschaften, die für mehr Gleichheit sorgen.

 

Eliza Reid beleuchtet unterschiedliche Bereiche – Wirtschaft, Kultur, Politik, Medien – und beschreibt, was Island so besonders macht.

 

 

 

Foto: Facebook Eliza Reid

Eliza Reid

wurde am 5. Mai 1976 in Ottawa / Kanada geboren. Nach einem Bachelor-Abschluss in Internationale Beziehungen an der University of Toronto machte sie einen Masterabschluss in Moderner Geschichte an der Oxford University in Großbritannien, wo sie den heutigen Präsidenten Guðni Th. Jóhannesson kennenlernte, mit dem sie seit 2004 verheiratet ist.

 

In Island arbeitete sie für zahlreiche isländische Medien, darunter Rekyjavík Grapevine und Iceland Review. 2014 war sie Mitbegründerin des Iceland Writers Retreat


Ein solches Buch ist nicht ohne Risiko. Ein allzu rosiger Befund oder ein übermäßig düsteres Bild – und schnell steht die First Lady als Sprachrohr der Politik oder als Nestbeschmutzerin da.

 

Doch die Journalistin Reid ist erfahren genug, die Präsidentengattin nicht in diese Fallen tappen zu lassen. Sie betrachtet stets beide Seiten der Medaille – nicht nur die glitzernde Vorderansicht. Auch in Island übernehmen Frauen den größten Berg der Hausarbeit, verdienen weniger als Männer und sitzen seltener im Chefinnensessel.

 

Das Buch zeichnet kein weichgespültes Bild des Landes, sondern ist eine ehrliche Bestandsaufnahme.

 

Ende 2018 waren Tonaufnahmen von einem Barbesuch in die Öffentlichkeit gelangt, bei dem sich isländische Parlamentarier abfällig über Kolleginnen äußerten, darunter ein früherer Regierungschef und ein einstiger Außenminister. Die Klaustur-Affäre sorgte landesweit für Diskussionen und Proteste – doch zu Rücktritten führte sie nicht. Reid verhehlt nicht, was sie davon hält.

 

Auch beim Umgang der Justiz mit Immigrantinnen legt sie den Finger in die Wunde. Mit dem wachen Blick und der Solidarität einer Frau, die selbst zugewandert ist, zeigt sie am Beispiel der Mexikanerin Arlette, wie sehr Mütter mit ausländischem Pass bei einer Scheidung auf den guten Willen der Behörden angewiesen sind.

 

Entstanden ist so ein spannendes Gesellschaftsporträt, das erklärt, warum Island vielen als Vorbild für die Gleichheit der Geschlechter gilt – und dennoch kein Gender-Paradies ist.

 

Kein Handbuch für First Ladys

 

Den Mund aufmachen, die eigenen Zweifel überwinden – das will Eliza Reid Frauen mit auf den Weg geben.

 

Sie selbst sage inzwischen immer zu, wenn sie um eine Rede gebeten wird, und schlage ein Thema vor, wenn keiner fragt. „Ich werde nicht die Welt verändern. Aber ich kann meinen Teil dazu beitragen, Dinge anzustoßen“, so Reid.  

 

Zuweilen überkommt auch sie die Angst vor der eigenen Courage. Wie an jenem Tag, als kurz nach dem Facebook-Post ein Meinungsbeitrag von ihr in der US-Tageszeitung New York Times erschien. „Mir war unbehaglich zumute. Ich hatte niemandem im Präsidialamt davon erzählt oder um Erlaubnis gefragt. Was wenn ich als verwöhnt und undankbar dastünde?“ Doch die Resonanz war überwältigend.

 

Es gebe eben kein Handbuch für First Ladys, schreibt Eliza Reid in ihrem Buch. Das klingt nicht so, als würde sie es bedauern. 

 

 

Text: Nicole Maschler 

 

 

 

 

Eliza Reid

Secrets of the Sprakkar

Iceland`s Extraordinary Women

and How They Are Changing the World

 

Sourcebooks, Naperville / Illinois 2022

251 Seiten



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