12.07.2023

Auf dem Weg in die Wohlfühl-Wirtschaft

Island treibt die Wirtschaft der Zukunft voran. Das Ziel: ein Wachstum, das Würde, Fairness und Teilhabe für alle ermöglicht. Die isländische Regierung hat ausgeklügelte Governance-Mechanismen entwickelt, um die Wellbeing Economy erfolgreich umzusetzen.

 

Café in Reykjavík. Bild von Bernd Hildebrandt auf Pixabay.
Island hat die "Wohlfühl-Wirtschaft" für sich entdeckt. © Berndt Hildebrandt auf Pixabay.

  

Das Glück ist in Island zuhause. Im World Happiness Report der Vereinten Nationen hat sich der kleine Inselstaat 2023 mit Rang 3 erneut einen Platz auf dem Siegertreppchen gesichert.

 

Doch zufrieden geben sich die Isländerinnen und Isländer damit nicht. Sie wollen, dass sich das Wohlbefinden auch in der Wirtschaftsrechnung ihres Landes widerspiegelt.

 

Die Idee ist nicht neu. Wellbeing Economy heißt das – Ökonomie des Wohlbefindens.

 

Gemessen wird nicht nur das, was ein Preisschild hat, sondern auch Wohlfahrt und Lebensqualität – also zum Beispiel der Zugang zu Wohnraum und Grünflächen sowie die Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern.

 

Finanzkrise als Treiber

 

Ein wesentlicher Treiber für Islands Wellbeing-Agenda war die Finanzkrise 2008.

 

In der Wohlfahrtswirtschaft geht der Schwerpunkt weg vom reinen Wirtschaftswachstum hin zu mehr Nachhaltigkeit – vielleicht die wichtigste Lehre, die der Inselstaat aus dem politischen und wirtschaftlichen Bankrott vor 15 Jahren gezogen hat.

 

Denn finanzielle Indikatoren wie das Bruttoinlandsprodukt (BIP) beziehen sich allein auf die Wirtschaftsleistung – sagen aber nichts aus über die Qualität von Jobs oder welche Folgen die Produktion für die Umwelt hat. Die Wellbeing Economy soll diese Mängel in den Rechnungen ausgleichen.

 

Zugleich ist der Wandel hin zur Wohlfahrtsökonomie auch eine Chance, Islands Position im globalen Wettbewerb nach den Krisenjahren zu stärken und das Land fit zu machen für künftige Herausforderungen wie die Digitalisierung und den Klimawandel.

 

Wellbeing ist Chefinnen-Sache

 

Das Thema ist in Island heute Chefinnen-Sache.

 

Die Wellbeing-Agenda wird durch das Büro von Premierministerin Katrín Jakobsdóttir koordiniert – schließlich kann ihre Links-Grüne Bewegung als kleinster Koalitionspartner beim Thema Gerechtigkeit nur gewinnen. 

 

Governance-Strukturen auf allen politischen Ebenen sollen das Vorhaben vorantreiben.

 

So bringt der Rat für ein nachhaltiges Island Vertreter:innen aus Industrie, Gewerkschaften, lokalen Gebietskörperschaften, Ministerien und Nichtregierungsorganisationen zusammen, und der Lenkungsausschuss Welfare Watch (Velferðarvaktin) untersucht systematisch die ökonomische Situation der Haushalte in Island.

 

Der Jugendrat für die SDG, dem Jugendliche im Alter von 13 bis 18 Jahren angehören, soll der jungen Generation politisches Gehör verschaffen.

 

Wie diese Initiativen treten zahlreiche Regierungsorganisationen, NGOs, Plattformen und Netzwerke als „Mittler des Wandels“, sog. change agents, auf.

 

 

Mehr als das BIP

2019 hat Islands Regierung  umfassende Wellbeing-Indikatoren entwickelt, um Fortschritte auf dem Weg in die Ökonomie des Wohlbefindens zu messen.  Foto: Unsplash

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Indicators for Measuring Well-being
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Um die Fortschritte auf dem Weg zur Wohlfahrtswirtschaft zu messen, hat Islands Regierung 2018 zunächst Bevölkerungsumfragen durchgeführt und schließlich umfassende Wellbeing-Indikatoren entwickelt. Die 39 Kennzahlen berücksichtigen soziale, wirtschaftliche und ökologische Faktoren.

 

Auf dieser Basis legte die Regierung Ende 2019 sechs Schwerpunkte für das gesellschaftliche Wohlbefinden fest: mentale Gesundheit, sicheres Wohnen und bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, der Verzicht auf Kohlenstoff-Emissionen, mehr Innovationen und eine bessere Kommunikation mit der Öffentlichkeit.

 

Diese Wellbeing-Prioritäten sind seither die politische Grundlage, um den Jahreshaushalt und die fünfjährige Finanzstrategie des Landes zu erstellen.

 

Es gibt ein Monitoring durch die isländische Statistikbehörde Hagstofa Íslands sowie regelmäßige Umfragen, um die Bevölkerung auf dem Weg in die Wohlfahrtsökonomie mitzunehmen.

 

Internationale Führungsrolle

 

Und auch international strebt Island eine Führungsrolle beim Thema Wellbeing an und baut dabei auf bestehende Netzwerke.

 

Bereits 2014 hatte Island seine Präsidentschaft im Nordischen Ministerrat genutzt, um das Thema im Kreis der fünf Nord-Länder auf die politische Agenda zu setzen.

 

2019 hat Premierministerin Katrín Jakobsdóttir mit ihren Kolleginnen aus Neuseeland und Schottland dann die Gruppe der Regierungen der Wohlfahrtsökonomie (WEGo) ins Leben gerufen.

 

Das gemeinsame Ziel: ein Wirtschaftswachstum, das Würde, Fairness und Teilhabe für alle ermöglicht.

 

Zwar sind Jacinda Ardern und Nicola Sturgeon nicht mehr im Amt, aber das tut der Idee keinen Abbruch. Inzwischen haben sich dem Bündnis auch Finnland, Wales und Kanada angeschlossen.

 

Island geht voran

 

Im Juni 2023 richtete die isländische Regierung zusammen mit der Gesundheitsbehörde und der Stadt Reykjavík das erste internationale Wellbeing Economy Forum und ging damit wieder voran.

 

Für ihren Einsatz ernannte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Jakobsdóttir inzwischen zum WHO Champion.

 

Noch fehlt es auch in Island an einer nationalen Wellbeing-Strategie. Aber die Regierung hat noch für dieses Jahr ein Grünbuch als Grundlage für die weitere Diskussion angekündigt.

 

Glücklich, wer in Island lebt. 


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