21.06.2023

"Den verlorenen Sohn würdigen"

In Island ist Wilhelm Beckmann längst ein Klassiker, in seiner Geburtsstadt kennen ihn nur wenige. Im Interview erzählt der Autor, Filmemacher und Kulturvermittler Arthúr Bollason, weshalb er sich auf die Spuren des in Hamburg geborenen Bildhauers begeben hat.

 

Foto von den Dreharbeiten zum Dokumentarfilm "Island: Zuflucht und Erfüllung". Bilder: Arthúr Bollason / Michael Locher.
Filmreif: die Lebensgeschichte des Hamburger Bildhauers Wilhelm Ernst Beckmann. © Arthúr Bollason / Michael Locher.

Deutsch-Isländische Gesellschaft: Wer ist Wilhelm Beckmann?

 

Arthúr Bollason: Wilhelm Ernst Beckmann wurde 1909 als Sohn eines politisch aktiven Sozialdemokraten und Gewerkschafters in Hamburg geboren. Nach seinem Schulbesuch lernte er Holzschnitzerei bei einem aus England stammenden Meister auf diesem Gebiet, der sich in der Hansestadt niedergelassen hatte.

 

Nach der Machtergreifung der Nazis und dem Verbot der SPD wurde es für den jungen Beckmann, der für die Partei unter anderem Wahlplakate gemacht hatte, in Hamburg gefährlich. Er floh zunächst zu Verwandten in Dänemark, die in der Nähe der deutschen Grenze lebten. In Dänemark bekam er jedoch keine Arbeitsgenehmigung. Daher beschloss er, nach Island auszuwandern.

 

Als er im Frühjahr 1935 mit dem Schiff nach Island kam, war die Zukunft für ihn völlig ungewiss. Mit Hilfe isländischer Sozialdemokraten konnte er jedoch Fuß fassen. Er heiratete eine isländische Bauerntochter und bekam mit ihr zwei Kinder. Im Laufe der Zeit fertigte er für viele Kirchen in Island sakrale Kunstwerke, darunter Taufbecken und Reliefs, die große Beachtung fanden. Als er 1965 starb, hinterließ Beckmann zahlreiche Kunstwerke, sowohl religiöse als auch weltliche, die über das ganze Land verstreut sind. 

 

 

DIG: Wie kommt es, dass er in seiner Geburtsstadt bis heute weitgehend unbekannt ist?

 

Arthúr Bollason: Der Grund dürfte vor allem darin liegen, dass Wilhelm Beckmann nach seiner Flucht aus Deutschland fast jeden Kontakt nach Hamburg abbrach. Nach dem Krieg hat er seiner Familie nur einen kurzen Besuch abgestattet.   

 


DIG: Was zeichnet Beckmanns Kunst aus?

 

Arthúr Bollason: Beckmann war handwerklich ein sehr begabter Mensch. Seine Werke zeugen von einem außerordentlichen künstlerischen Können und großer Präzision. Bei seinen zahlreichen, zum Teil sehr originellen Taufbecken kommt seine künstlerische Fantasie besonders zum Ausdruck. Er hat aber auch viele Gebrauchsgegenstände wie Rednerpulte, Schmuckschatullen und Möbelstücke angefertigt, die von derselben Originalität zeugen.

 

Im Laufe der Jahre entwickelte er seinen eigenen Stil. Und seine für die isländische Gewerkschaftsbewegung gezeichneten Plakate gehören zum Besten, was an politischer Kunst in Island geschaffen wurde. 

 

 

DIG: Wie ist die Idee zu dem Film entstanden?

 

Arthúr Bollason: 2010 wurde in Island das Wilhelm-Beckmann-Institut gegründet. Vorausgegangen war die Entscheidung von Beckmanns Tochter Hrefna und ihrem isländischen Ehemann, dass die Stadt Kópavogur, in der Beckmann den größten Teil seiner Zeit in Island zuhause war, seinen künstlerischen Nachlass und auch ihren eigenen Besitz erben sollte.

 

Die Stiftung erhielt die Aufgabe, die Erinnerung an Beckmann und sein künstlerisches Erbe wachzuhalten. Vor drei Jahren hat mich der Vorsitzende kontaktiert und gefragt, ob ich bereit wäre, die Stiftung bei ihren Bemühungen zu unterstützen, die Menschen in Beckmanns alter Heimat mit ihm und seinem Werk vertraut zu machen. Bei einem Gespräch mit meinem Freund und TV-Kollegen Michael Locher wurde dann die Idee geboren, über Beckmanns Leben einen deutsch-isländischen Dokumentarfilm zu machen. 

© Arthúr Bollason / Michael Locher

DIG: Wie haben Sie sich dem Menschen und Künstler Beckmann genähert, und was war Ihnen besonders wichtig zu zeigen?

 

Arthúr Bollason: Es gibt in Island ganz wenig persönliches Material über den Menschen Wilhelm Beckmann. Er ließ sich ungerne fotografieren, es sind keine Video- und auch keine Tonaufnahmen vorhanden. Fast alle, die ihn persönlich kannten, sind inzwischen verstorben. Deswegen haben wir beschlossen, seine Kunstwerke in den Mittelpunkt des Films zu stellen und sein wertvolles Erbe mit Hilfe von sachkundigen Menschen in Island sichtbar zu machen.

 

Außerdem lag uns daran zu zeigen, wie viel seine Werke den Isländerinnen und Isländern – vor allem den Mitgliedern der ländlichen Gemeinden, in denen seine Werke zu finden sind – bis zum heutigen Tag bedeuten. Der Film sollte zugleich ein Appell an Beckmanns Landsleute in Deutschland und nicht zuletzt in Hamburg sein, das künstlerische Erbe dieses „verlorenen Sohnes“ zu würdigen. 

 

 

DIG: Wo wird der Film zu sehen sein?

 

Arthúr Bollason: Die isländische Fassung wird – voraussichtlich im kommenden Herbst – im staatlichen Fernsehen Islands, dem RÚV, ausgestrahlt. Bezüglich einer öffentlichen Vorführung des Beckmann-Films in Deutschland sind die Verhandlungen noch im Gange.


                                                                                                          © Arthúr B. Bollason

Arthúr B. Bollason

Schriftsteller, Journalist, Übersetzer und Saga-Experte: Arthúr B. Bollason ist seit langem einer der wichtigsten Vermittler isländischer Kultur in Deutschland.

 

Er übersetzte Klassiker von Friedrich Schiller, Heinrich Heine und Friedrich Nietzsche, übertrug Hans Magnus Enzensberger, Bernhard Schlink und Richard David Precht ins Isländische. Zur Frankfurter Buchmesse 2011 gab er Die schönsten isländischen Sagen heraus. Und nicht nur beim legendären Ehrengast-Auftritt der Inselnation war er ein gern gesehener Gesprächspartner.

 

Zuletzt hat Arthúr Bollason den Reiseführer Lieblingsorte Island (Insel Verlag) veröffentlicht. Im Spätsommer erscheint die Neuauflage seines Länderporträts Alles, was Sie über Island wissen müssen im MANA-Verlag.



02.10.2022 | Foto:  Unsplash

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