05.09.2022

Flanieren in Island

In dem Reise-Band Lieblingsorte zeigt uns Arthúr Björgvin Bollason seine isländische Heimat. Gemeinsam erkunden wir verborgene Ecken, streifen durch Läden, Museen, über den Friedhof und bis zum Hafen und erfahren dabei viel über die Geschichte der Insel.

 

Geschäft für Fotobedarf in Islands Hauptstadt Reykjavík. Bild von Ellen Tanner auf Unsplash.
Eine Insel voller Lieblingsorte: Island. © Ellen Tanner auf Unsplash.

 

Im Schatten der Hallgrímskirkja liegt ein trutziger Bau, dahinter ein Garten mit monumentalen Skulpturen. Doch nur wenige Reisende zieht es an diesen verwunschenen Ort, den der isländische Bildhauer Einar Jónsson zu Beginn der 1920er Jahre erschaffen hat. Ein Gesamtkunstwerk so rätselhaft wie der Künstler selbst – ein Philosoph, der sein Denken in Bronze und Gips manifestierte.

 

Es ist einer von 60 Lieblingsorten, die uns Arthúr Björgvin Bollason in dem gleichnamigen Band der Insel-Reihe vorstellt. Gemeinsam mit dem Autor erkunden wir Islands Hauptstadt Reykjavík und seine Regionen und entdecken dabei verborgene Ecken und ungewöhnliche Plätze.

 

Der gebürtige Isländer hat die Entwicklung seiner Heimat stets mit journalistischem Interesse verfolgt, und so beschreibt er anhand der ausgewählten Orte anschaulich, wie sich das Land im Laufe der Zeit verändert hat.

 

Auf der Prachtstraße Tjarnargata in Reykjavík, in der heute die Premierministerin Staatsgäste empfängt, standen noch vor 100 Jahren einfache Torfhäuser, und in der Altstadt GrjótaÞorpið siedelten sich Ende des 18. Jahrhunderts die ersten Arbeiterfamilien an.

 

Ein zweiter Blick lohnt

 

Es sind Orte, deren Besonderheit sich oft erst auf den zweiten Blick erschließt – wie Reykjavíks älteste Badeanstalt Sundhöllin, mit der 1937 Duschen in das kleine Städtchen Einzug hielten­­, der Klangpavillon im Stadtpark, in dem die ersten Musikgruppen des Landes probten, oder der Friedhof Hólavallagarður, dessen Gräber viel über die gesellschaftlichen Unterschiede im „alten Island“ erzählen.

 

Natürlich gehören zu den Lieblingsecken auch Cafés und Restaurants. Doch Bollason beschränkt sich nicht auf Einkehrtipps, sondern schildert uns die Geschichte des Ortes. So erfahren wir, dass das bekannte Café Mokka Kaffi seine ersten Gäste 1958 mit einer italienischen Espresso-Maschine anlockte, und im beliebten Restaurant Kaffivagninn (Kaffeewagen) im alten Hafen einst Seeleute Randale machten.

 

Dort, wo heute das Konsulat Hotel Reisende empfängt, stand Reykjavíks erstes Einkaufszentrum. Die Familie des umtriebigen Unternehmers stammte aus Schleswig-Holstein, und so wurde Ditlev Thomsen 1896 erster deutscher Konsul in Island.

 

So gibt es zahlreiche Querverweise, über die sich deutsche Leser:innen freuen werden. Im „Ministerwohnsitz“ in der Prachtstraße war 1977 schon Bundeskanzler Helmut Schmidt zu Gast, und in der Kunsthalle Marshallhúsið (Marshall-Haus), in der einmal Fischmehl produziert wurde, stellt nun Künstler Ólafur Elíasson seine Werke aus, der seit vielen Jahren in Berlin beheimatet ist.

 

Bollason kann viele solcher Geschichten erzählen – schließlich verbringt er selbst einen Teil des Jahres in Deutschland und betätigt sich seit langem als Kulturvermittler.

 

Spannende Geschichten selbst über die Imbissbude

 

Und so liegt ein Schwerpunkt des schmalen Buches auch auf Museen und Galerien, Künstlerhäusern und Kirchen, Skulpturen und Denkmälern. Doch Bollason beschränkt sich nicht auf die Hochkultur. 

 

Selbst im Plattenladen 12 Tónar der Schulfreunde Lalli und Jói, die schon Star-Pianist Víkingur Ólafsson und Oscar-Gewinnerin Hildur Guðnadóttir unter ihre Fittiche nahmen, oder beim Italiener Hornið an der Ecke, wo es früher Fischerei-Ausrüstung statt Pizza gab, erfahren wir Spannendes über die Insel.

 

Bollason ist ein isländischer Flaneur, mit dem wir gerne durch die Straßen streifen. Doch auch abseits der Hauptstadt weiß der Autor viel Wissenswertes zu berichten.

 

Wenn er von Islands Naturwundern erzählt, fließen immer wieder alte Mythen und isländische Geschichte ein – ob wir nun den Blick über die „Götterschlucht“ Asbyrgi schweifen lassen, in der Óðinns Pferd beim Ritt über den Himmel seinen Abdruck hinterließ, oder zum Berg Hrandrangi wandern, den der isländische Romantiker und Nationalheld Jónas Hallgrímsson in seinem bekanntesten Liebesgedicht verewigte.

 

Karten sucht man in dem schmalen Band vergeblich. Aber der Autor schildert uns genau, wohin wir fahren und welche Abzweigung wir nehmen müssen – beinahe wie ein alter Bekannter, der uns den Weg zu seinen Lieblingsorten verrät.

 

 

Text: Nicole Maschler

 

 

 

 

Arthúr Björgvin Bollason

Lieblingsorte - Island

Insel Verlag 2022

205 Seiten



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