11.09.2023

Nacht der Angst

In ihrem neuen Thriller Nacht folgen wir Islands Krimi-Königin Yrsa Sigurðardóttir auf einen abgelegenen Hof in Vesturland, auf dem Unerklärliches passiert. Doch bevor die junge Sóldis fliehen kann, geschieht ein grausames Verbrechen, und die Polizei ist ratlos. 

 

Modernes Wohnhaus in Island. Bild von Ben Eaton auf Unsplash.
Ein Haus wird zur Bedrohung: Thriller "Nacht" von Yrsa Sigurðardóttir. © Ben Eaton auf Unsplash.

Sóldis hält es auf dem Hof nicht mehr aus. Ihr Plan steht fest: Sie wird abreisen, schon am nächsten Morgen, egal was ihre Arbeitgeber sagen. Nur noch diese eine Nacht, dann ist es vorbei.

 

Doch die junge Frau wird das einsam gelegene Anwesen nicht mehr lebend verlassen. Zusammen mit ihrer Gastmutter Ása, Teenager Íris und der kleinen Gígja fällt sie einem bestialischen Verbrechen zum Opfer. Vom Vater Reynir fehlt jede Spur. Hat er die Familie umgebracht?

 

In ihrem neuen Thriller Nacht, der Ende August im btb Verlag erschienen ist, verschränkt Yrsa Sigurðardóttir erneut mehrere Handlungsstränge: die Arbeit des Ermittlungsteams und die Geschehnisse vor dem brutalen Mord, die aus Sicht der 25-jährigen Sóldis geschildert werden, die bei dem reichen Ehepaar als Mädchen für alles und Privatlehrerin der beiden Töchter arbeitete.

 

Zwar sind die Leser:innen der Polizei immer einen Schritt voraus, doch schlauer als das Ermittlerteam sind sie deshalb nicht.

 

Strudel von unheimlichen Ereignissen

 

Denn auf dem Hof geschehen unerklärliche Ereignisse: Dinge verschwinden und tauchen Tage später wieder auf, jemand verschafft sich Zugang zu den Wohnräumen, vor dem Fenster tauchen Gestalten auf. Oder ist alles nur Einbildung?

 

Immer tiefer zieht uns Yrsa Sigurðardóttir in den Strudel von unheimlichen Geschehnissen, und Sóldis Angst überträgt sich beim Lesen.  Kälte, Dunkelheit und Bedrohung sind beinahe zu greifen.

 

Bei der Suche nach dem Täter folgen wir dem Polizisten Týr, der aus der Hauptstadt Reykjavík in den abgelegenen Fjord in Vesturland entsandt wird, um das zuständige Team in der nahen Hafenstadt Akranes zu unterstützen.

 

Dabei gibt es ein überraschendes Aufeinandertreffen mit dem dortigen Ermittlungsleiter Hörður und den Beamten Elma und Sævar– Personal, das sich Yrsa Sigurðardóttir von Thriller-Kollegin Eva Björg Ægisdóttir „geborgt“ hat, wie sie im Nachwort verrät. Eine charmante Idee und ein Beleg dafür, wie eng Islands Krimi-Szene miteinander vernetzt ist.   

25.02.2023Foto: Unsplash

Mit der jungen Elma hat Eva Björg Ægisdóttir in ihrem Debüt  eine ebenso beharrliche wie unerschrockene Ermittlerin erschaffen, die in Verschwiegen ein jahrzehntealtes Verbrechen aufdeckt. In Nacht von Yrsa Sigurðardóttir gibt es jetzt ein überraschendes Wiedersehen.  Mehr


Je länger die Ermittler recherchieren, umso mehr Ungereimtheiten tun sich auf. Der Sendemast, der den abgelegenen Hof mit der Außenwelt verband, wurde zerstört. War es Vandalismus oder Vorsatz? Und wer hat die Überwachungskameras rund um das Gebäude abmontiert?

 

Beinahe scheint die Bedrohung vom Haus selbst auszugehen, und Sigurðardóttir gelingt es, ein permanentes Gefühl der Unsicherheit zu erzeugen. Die Vorderseite aus Beton, auf der Rückseite große Glasflächen, die kaum Schutz bieten vor Gefahren, die draußen lauern.

 

Was hat der streitsüchtige Besitzer des Nachbarhofes mit den Vorgängen zu tun, und warum haben Berglind und Alvar, die vor Sóldis als Haushaltshilfen bei dem Paar arbeiteten, den Hof Hals über Kopf verlassen?

 

Ging es dem Täter um Geld, schließlich hatte die Familie nach dem Verkauf ihres IT-Unternehmens in den USA ausgesorgt? Auf den Konten gab es ungewöhnliche Transaktionen, eine größere Summe fehlt.

 

Viele Fragen und keine Antworten

 

Oder war es ein Ehestreit, wollte sich das Paar trennen? Hat Familienvater Reynir, der an einem Hirntumor litt, im Wortsinne den Verstand verloren?

 

Fragen über Fragen, auf die es keine plausible Antwort zu geben scheint. Polizist Týr macht der bedrückende Fall zunehmend zu schaffen – umso mehr, als er im Zuge der Recherchen erfahren muss, dass auch seine Mutter vor Jahrzehnten Opfer eines Verbrechens wurde.

 

Nach und nach finden die Ermittler weitere Leichen, und die bisherigen Verdächtigen scheiden als Täter aus.

 

Schließlich gibt es eine unerwartete Wende – und ein weiteres Rätsel, das nicht nur Týrs Kollegin, Gerichtsmedizinerin Iðunn, ratlos zurücklässt. Ein raffinierter Cliffhanger, der auf ein Wiedersehen mit dem neuen Ermittler hoffen lässt.

Text: Nicole Maschler

 

 

 

Yrsa Sigurðardóttir

Nacht

btb Verlag 2023

432 Seiten



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