13.11.2021

Verbrechen nach Plan

Mit der Trilogie um Kommissarin Hulda hat es Krimi-Autor Ragnar Jónasson als erster Isländer in die SPIEGEL-Bestenliste geschafft. Jetzt war der Schriftsteller erstmals auf Deutschland-Tour. Im Gepäck: sein neuester Thriller Frost um den jungen Ermittler Helgi. 

 

Treppenaufgang in einem verlassenen Haus. Foto von Nathan Wright auf Unsplash.
Rätselhafte Todesfälle in einem alten Sanatorium: Ragnar Jónassons neuer Thriller "Frost". © Nathan Wright auf Unsplash.

 

Helgi liebt Detektivgeschichten. Das hat der angehende Ermittler mit Ragnar Jónasson gemeinsam. Denn auch Islands Erfolgsautor ist passionierter Krimi-Leser.

 

In den Nordischen Botschaften in Berlin stellte der 45-Jährige am Montagabend live und via Stream seinen neuen Thriller Frost vor – eine Premiere gleich im doppelten Sinne. Denn Jónasson, der im vergangenen Jahr mit seiner Trilogie um Kommissarin Hulda die SPIEGEL-Bestsellerliste stürmte, ist zum ersten Mal in Deutschland.

 

Der Fall führt Huldas Nachfolger zurück in das Jahr 1983. Ein einstiges Tuberkulose-Sanatorium, drei Todesfälle und jede Menge Ungereimtheiten – ein spannender Auftakt für den jungen Polizisten Helgi in klassischer Whodunit-Manier.

 

Als Jugendlicher, berichtet Jónasson im Gespräch mit Moderatorin Anouk Schollähn, habe er alle Bücher von Agatha Christie verschlungen, die auf der Insel zu finden waren. Irgendwann machte er sich selbst daran, ihre Geschichten zu übersetzen.

 

Mit 17 wandte er sich an den Verlag, der ihre Werke in Island auflegte. Dort war er kein Unbekannter – erkundigte er sich doch regelmäßig, wann denn der nächste Roman erscheine.

 

Der Verleger gibt ihm eine Chance, und Jónasson darf sich einen Band aussuchen. Er wählt den schmalsten, vorsichtshalber. Es läuft dann besser als gedacht; 14 Agatha-Christie-Bücher übersetzt er schließlich ins Isländische. Es ist wohl diese Chuzpe, gepaart mit Ernsthaftigkeit, die überzeugt.

 

Bald veröffentlicht er auch Kurzgeschichten und 2009, mit 33, seinen ersten Roman. Ein Jahr später erscheint Snjóblinda (Schneebraut), der erste Band der Dark Iceland-Reihe um den jungen Polizisten Ari Þor. Seither hat er jedes Jahr ein neues Buch herausgebracht.

 

 

Längst ist Jónasson auch außerhalb der Heimat bekannt. Seine Werke sind in mehr als 30 Ländern und über 20 Sprachen erschienen. Von renommierten Zeitungen wie der New York Times wird der 45-Jährige als einer der besten Krimi-Autoren der Welt gefeiert.

 

Dabei ist der Jurist und zweifache Vater im Hauptberuf Investmentbanker und lehrt zudem Rechtswissenschaften an der Universität von Island. Er ist Mitbegründer des Icelandic Noir, des Reykjavík International Crime Writing Festival, und Mitglied der britischen Crime Writers´ Association. Seine Bücher schreibt er abends und am Wochenende.

 

Ein Überflieger, und doch erscheint er bei der Veranstaltung in den Nordischen Botschaften beinahe schüchtern, wenn er dem Schauspieler Matthias Scherwenikas lauscht, der Auszüge aus der deutschen Übersetzung vorträgt, und schließlich selbst einige Seiten im Original liest. Der Applaus des Publikums scheint ihm fast unangenehm.

 

Charmant und hartnäckig

 

Doch im Gespräch mit der Moderatorin blitzt dann immer wieder ein schelmischer Witz auf, und plötzlich wirkt Jónasson gar nicht mehr so zurückhaltend.

  

Etwa wenn er sich daran erinnert, wie er mit seinem Verleger und einem Journalisten das alte Krankenhaus in Akureyri aufsuchte, Vorbild für das Tuberkulose-Sanatorium in Frost. Unangemeldet tauchen sie dort auf und schauen sich um, bis die Ärzte sie entnervt des Geländes verweisen.

 

Oder wie er Romanfiguren nach Freunden benennt, besonders gerne nach denen, die das gar nicht mögen.

 

Jónasson, man ahnt es nach diesem Abend, ist charmant im Auftreten und hartnäckig, wenn es ihm um die Sache geht. 

 

 

Gerade hat sich CBS die Filmrechte für die Hulda-Trilogie gesichert. Die Dreharbeiten beginnen in diesen Tagen. Stolz wirkt er, als er davon berichtet, aber nicht eitel. Dazu hat er selbst zu viel Spaß daran.

 

Erst im Sommer hatten Warner Bros. Germany angekündigt, die Dark Iceland-Reihe zu verfilmen. Die Reihe war Jónassons internationaler Durchbruch. Und lieferte ihm die Idee für seinen bisher größten Erfolg: die Trilogie um Ermittlerin Hulda.

 

Denn nach mehreren Bänden um den jungen Polizisten Ari Þor hatte er das Gefühl, dass nun etwas Neues kommen müsse, eine gänzlich andere Figur – eine Kommissarin, die am Ende einer wenig erfolgreichen Berufslaufbahn steht.

 

Nicht die Fälle sollten im Mittelpunkt stehen, sondern diese Frau, vom Leben nicht eben verwöhnt. Er skizziert ihre Geschichte auf einem DIN A4-Blatt und geht damit zum Verleger. Der ist sofort einverstanden, erinnert sich Jónasson.

 

 

  • Als erster isländischer Autor hat es Ragnar Jónasson jetzt mit gleich drei Büchern in die TOP Ten der SPIEGEL-Bestsellerliste geschafft.
  • Und: Er ist der erste Isländer, der sich den Spitzenplatz gesichert hat.
  • Mehr als 1,5 Millionen Bücher hat Jónasson bisher weltweit verkauft.
  • Seine Bücher wurden in 40 Ländern und 27 Sprachen veröffentlicht. 

 

 

Dabei ist Hulda keine Ermittlerin, die es einem leicht macht. Sie ist spröde, unzugänglich und eigenwillig. Doch Jónasson schildert die alternde Kommissarin mit so viel Sympathie, dass man ihr Ende aufrichtig bedauert.   

 

Das ging ihm selbst wohl ebenso – und so gibt es in Frost ein überraschendes Wiedersehen.

 

Aber warum wird in der Fortsetzung ausgerechnet ihr Nachfolger Helgi zur Hauptfigur? Vielleicht, so Jónasson, ist der ja doch kein so schlechter Typ. Schließlich könne der junge Polizist nichts dafür, dass Hulda seinetwegen den Job verlor.

 

Jónasson, so scheint es, lässt sich gerne überraschen – und wenn er selbst dafür sorgen muss.

 

Dazu passt sein neuestes Projekt: ein gemeinsamer Krimi mit Islands Premierministerin Katrín Jakobsdóttir. Mit der Politikerin – Literaturwissenschaftlerin und Agatha Christie-Fan wie er selbst – ist er gut befreundet. Schon länger wollte er sie überreden, mit ihm ein Buch zu schreiben. Am Ende konnte er sie überzeugen; 2023 soll der Titel in die Läden kommen.

 

Ein ambitionierter Zeitplan; schließlich steckt Jakobsdóttir nach der Wahl Ende September mitten in schwierigen Koalitionsverhandlungen, und die Corona-Krise dürfte das Regieren nicht einfacher machen.

 

Sorgen, die Jónasson offenbar nicht umtreiben. Er hat einen Plan, und bisher ist der noch immer aufgegangen.

 

 

Text: Nicole Maschler

 


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