15.05.2020

Islands Mückensee

Mit einer Fläche von 37 Quadratkilometern ist der Mývatn, der Mückensee, Islands viertgrößter See. In dem wunderbaren Buch Vom Flügelschlag des Sterntauchers zeigt uns Unnur Jökulsdóttir seine Geheimnisse. Eine Reise durch ein bedrohtes Paradies.

 

Großaufnahme von zwei Mücken auf einem See. Bild von hao wang auf Pixabay.
Mücken gaben dem isländischen Naturparadies seinen Namen: Mývatn. © hao wang auf Pixabay.

 

Mývatn. Ein Name wie eine Drohung: der Mückensee. Tatsächlich schwirren die kleinen Plagegeister zu Abermillionen über das Wasser. Und doch sind die winzigen Insekten ein Segen für die Region. Denn ohne die Mücken gäbe es diesen einzigartigen Lebensraum im Nordosten Islands nicht.

 

Mit 37 Quadratkilometern Fläche ist der Mývatn der viertgrößte See im Land. Ein „Paradies für die schönsten Enten, die farbigsten Vögel, die quirligsten Fische, die stechfreudigsten Mücken“, auf deren Spuren sich Unnar Jökulsdóttir in ihrem lesenswerten Buch Vom Flügelschlag des Sterntauchers begibt.

 

In wunderbaren Bildern beschreibt sie das verborgene Leben am See – poetisch, berührend und voller Inspiration. Ein Buch, das zugleich eine Mahnung ist und ein Appell. Denn Klimawandel und Umweltzerstörung machen auch vor dem Zauberland nicht halt.

 

Autorin, Journalistin - und Anwohnerin

 

Unnur Jökulsdóttir ist Autorin, Journalistin – und Anwohnerin. Ihr Mann Árni Einarsson leitet die 1974 gegründete Naturforschungsstation an der Südseite des Sees, in dieser „wunderschönen Landschaft, in der die Evolutionstheorie geradezu greifbar“ ist.

 

Über einen Zeitraum von 100 Jahren wollen die Fachleute Daten zur Vogel- und Fischpopulation des Sees erheben. Zu diesem Zweck führen sie regelmäßig Vogelzählungen und Stichproben durch. So können sie herausfinden, ob es unerwünschte Veränderungen gibt – „eine Art Alarmanlage“ für die Natur.

 

Und wie das Team der Station begeben wir uns an der Seite der Autorin auf eine spannende Wanderung durch Zeit und Raum.

 

 

Die Reise beginnt hoch oben in den Bergen, die den See wie Hüter umstehen.

 

Mit dem Gerfalken nähern wir uns dem Mývatn, tauchen ein in das Wasser und gleiten mit Spatelenten und Gänsesägern durch die Weiten des Sees und hinab in die Tiefe bis zum Grund, wo die Larven der Kriebelmücken leben, der Grundwasserflohkrebs zu Hause ist und die Rädertierchen.

 

Auf gerade einmal 170 Seiten lässt uns Jökulsdóttir wie durch ein Kaleidoskop blicken und teilt ihre Eindrücke und Erkenntnisse mit uns.

 

Ob Biologie oder Geologie, Geschichte, Literatur oder Kulturwissenschaft: Vom Flügelschlag des Sterntauchers ist eine Schatzkammer des Wissens und dabei kurzweilig, informativ und unterhaltsam - ein Leseerlebnis.

 

Das liegt auch daran, wie sich die Autorin ihrem Thema nähert.


 

Sie begleitet Árni, den Biologen, bei der Vogelzählung, den Fischer Gylfi und die elfjährige Hildur, das Nachbarskind. Sie spricht mit dem Pastor, dessen Pfarrhaus nur 100 Meter von der Forschungsstation entfernt liegt, und mit der Literaturwissenschaftlerin Ásta Kristín, die selbst am See aufgewachsen ist.

 

Auf unserem Weg begegnen wir den Odinshühnchen, die „die traditionelle Geschlechterrolle auf den Kopf stellen“, dem Eistaucher, der „wie ein Küstenwachschiff vor Anker liegt“, sind „im Villenviertel der Vögel“ unterwegs und verfolgen fasziniert, wie uns eine Küstenschwalbe „als Bonus eine Flugshow“ präsentiert.

 

Manche von ihnen können wir genauer betrachten, denn das Buch ist nicht nur äußerst anschaulich geschrieben, sondern mit Fotos und zarten Illustrationen auch wunderschön gestaltet.

 

Kreislauf der Natur

 

Unnur Jökulsdóttir spürt dem ewigen Kreislauf der Natur nach, der das Leben am Mývatn seit Jahrhunderten prägt. Ein Kreislauf, der durch den Menschen aus dem Gleichgewicht gerät. Schon gibt es im See keine Forellen mehr und auch keinen Kugeldreck, jene hauchzarten Algenbälle, die einst den gesamten Seegrund bedeckten, „Symbol für alles Grüne und Gute“.

 

Durch sein Eingreifen bedroht der Mensch nicht nur die Natur, sondern auch seine eigene Zukunft. Denn: „Mit den Forellen verschwinden eine ganze Kultur, viel Wissen und Traditionen aus dem See. Die Fischergesellschaft geht ihrem Ende entgegen.“

 

Und so ist das Buch weit mehr als eine Erzählung über den Mývatn. Es ist ein Lehrstück über die Natur, ihre Grundlagen und Gefährdungen – und die Verantwortung des Menschen.

 

„Das Zusammenspiel am Mývatn lässt uns über unseren Platz in der Natur nachdenken.“ Es gehe um jede Parzelle, jeden Berg, jede Region – jeden See. „Damit wir retten können, was noch zu retten ist.“ 

 

 

Text: Nicole Maschler

 

 

Unnur Jökulsdóttir

Vom Flügelschlag des Sterntauchers

Das verborgene Leben am See Mývatn

 

Insel Verlag Berlin 2019

172 Seiten, mit zahlreichen Fotos und Illustrationen



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