22.09.2022

Islands Energiewende

Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine setzt in Europa ein Umdenken in der Energiepolitik ein. Island hat die Energiewende schon in den 1970er Jahren vollzogen. Doch auch auf der Insel, die vielen als Vorreiter in Sachen grüner Energie gilt, ist noch einiges zu tun.

 

Blick auf isländische Berge mit geothermischen Quellen, aus denen Dampf aufsteigt. Bild von Jonathan Pie auf Unsplash.
Hitze aus der Tiefe: Island nutzt seine heißen Quellen für die Energieversorgung. © Jonathan Pie auf Unsplash

 

Wer vor 90 Jahren nach Reykjavík kam, wollte schnell wieder weg. Das Land war nicht nur eines der ärmsten der Welt, sondern auch sehr schmutzig. Über der Hauptstadt lagen dicke Smog-Wolken – schuld daran war die Heizkohle.

 

Dabei lag die Lösung direkt vor der Haustür: natürliche Thermalquellen. Seit Jahrhunderten wuschen Hausfrauen dort Wäsche und trockneten sie, anstatt das Wasser mühsam zu Hause zu erhitzen.

 

1928 wurde in Reykjavík erstmals nach heißem Wasser gebohrt, und schon zwei Jahre später führte eine 3 km lange Leitung von Laugardalur, dem Tal der heißen Quellen, in die Stadt. Das erste Gebäude, das so Heißwasser erhielt, war eine Schule.

 

Die Vorteile der geothermalen Fernheizung lagen auf der Hand: Sie war günstiger, bequemer und sauberer als das Heizen mit Kohle. 1933 waren bereits 60 Häuser ans Netz angeschlossen.

 

Den entscheidenden Anstoß für die isländische Energiewende gab jedoch nicht die Sorge ums Klima, sondern die weltweite Ölkrise 1973. Sie traf Islands exportabhängige Wirtschaft schwer. Die Inflation stieg 1974 auf 43% und 1980 auf 59%.

 

Angesichts der rasant steigenden Weltmarktpreise konnte sich das Land den Import von Öl und Kohle schlicht nicht mehr leisten – und setzte auf Ressourcen, die auf der Insel im Überfluss verfügbar sind.

 

Die Regierung trieb deshalb den Bau von dezentralen Geothermie- und Wasserkraftanlagen landesweit voran, und neue Heizungssysteme wurden mit Kreditprogramm gefördert.

 

Bei geothermischer Nutzung liegt Island an der Spitze

 

Heute deckt Island fast 100% seiner Energieversorgung aus erneuerbaren Ressourcen; davon entfallen 70% auf Wasserkraft und die restlichen 30% auf geothermische Energie. 

 

Mit rund 600 Heißwasserquellen in etwa 250 Niedrigtemperaturgebieten sowie ca. 32 ausgewiesenen Hochtemperaturgebieten hat Island mehr heiße Quellen als jedes andere Land der Erde.

 

Sechs große Geothermiekraftwerke decken etwa 26% des Strombedarfs und versorgen knapp 90% der Haushalte mit Wärme. Damit liegt Island bei der geothermischen Nutzung weltweit an der Spitze.

 

Die Energieregulierungsbehörde lässt regelmäßig Bodenerkundungen durchführen, um die Erschließung von geothermischen Quellen zu fördern und vergibt Nutzungslizenzen. Wenn eine Quelle auf öffentlichem Boden liegt und keine Privatperson Besitzansprüche nachweisen kann, gilt diese als staatliches Eigentum.

 

Es gibt 22 größere und eine Vielzahl an kleineren Fernwärmenetzen. Haushalte in Regionen, die keinen Anschluss haben, profitieren von subventionierten Öl- und Strompreisen, um in ganz Island vergleichbare Heizkosten zu garantieren. Die Stromübertragungskosten in abgelegenen Gegenden werden bezuschusst, um deren Erschließung zu fördern.

 

Island hat sich so zu einem Geothermie-Standort mit Modellcharakter entwickelt. Die Anlage Hellisheiði im Südwesten der Insel ist eines der größten Kraftwerke der Welt. Das Geothermie-Universitätsprogramm der Vereinten Nationen hat seinen Sitz auf der Insel, und isländische Fachleute betreuen Projekte auf der ganzen Welt.

 

Die Kehrseite der Erdwärmenutzung

 

Allein, es gibt auch eine Kehrseite. Zwar belasten die Anlagen die Umwelt deutlich weniger als Kraftwerke, die aus fossilen Brennstoffen Energie gewinnen. Doch der Flächenverbrauch ist ebenso hoch wie die Kosten für Turbinen und Maschinen. Und auch die Bohrungen sind immer wieder in der Kritik, können sie doch Erderschütterungen auslösen.

 

Das größte Problem aber ist ganz banal: Erdwärme ist auf der Insel in solchem Überfluss vorhanden, dass verschwenderisch damit umgegangen wird.

 

Beheizte Straßen und Gehwege wie in Reykjavík und Akureyri sind ein Luxus, den Island sich leisten kann. Wenn das heiße Wasser in den Häusern seinen Zweck erfüllt hat, wird die Restwärme angezapft, um Schnee und Eis vor der Haustür zum Schmelzen zu bringen.

 

Problematischer ist da schon der immense Verbrauch energieintensiver Industrien. Rund 70% des erzeugten Stroms werden von der Schwerindustrie verbraucht – vor allem um Aluminium herzustellen. In den vergangenen Jahren haben zudem immer mehr Bitcoin-Miner und IT-Unternehmen ihre Rechenzentren nach Island verlagert.  

 

Das ist gut für Islands Wirtschaft, die lange einseitig auf Fischerei und Tourismus ausgerichtet war, aber schlecht fürs Klima. Denn aufgrund der Ansiedlung von energieintensiven Branchen ist der Ausstoß von Treibhausgasen in Island seit 1990 gestiegen – trotz des hohen Anteils erneuerbarer Energien. Längst verbrauchen die Server der IT-Konzerne mehr Strom als die gesamte isländische Bevölkerung.

 

Ab 2040 will das Land klimaneutral sein und vollständig auf fossile Brennstoffe verzichten.

 

Im Geothermiekraftwerk Hellisheiði werden Treibhausgase aus dem Produktionsprozess jetzt wieder im Boden versenkt – und dank neuartiger Verfahren dauerhaft in Stein gebunden.

 

Auch im grünen Musterland gibt es noch eine Menge zu tun.


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