19.08.2022

Der Vulkan im Innern

Geologin Anna Arnsdóttir ist erfolgreich und zufrieden im Leben. Doch als sie den Fotografen Tómas kennenlernt, muss sie erfahren, dass sich Gefühle nicht unterdrücken lassen. Sie begeht einen fatalen Fehler. Katastrophen-Roman von Sigríður Hagalín Björnsdóttir. 

 

Lodernder Vulkan in Island. Bild von Ruedi Haberli auf Unsplash.
"Islandfeuer" von Sigríður Hagalín Björnsdóttir: Hier brodelt nicht nur der Vulkan. © Ruedi Haberli auf Unsplash.

 

87 Tote und rund 300 Verletzte. Das ist die vorläufige Bilanz des verheerenden Vulkanausbruchs nahe Reykjavík. Die meisten Opfer gab es in den oberen Wohnvierteln der Hauptstadtregion. Unter den Toten sind auch Geologen, Techniker vom Wetterdienst sowie zahlreiche Reisende.

 

In ihrem jetzt bei Suhrkamp auf Deutsch erschienen Roman Islandfeuer entfaltet Sigríður Hagalín Björnsdóttir ein Katastrophenszenario von erschreckender Aktualität – spuckt doch nur 30 Kilometer von der isländischen Hauptstadt entfernt der Vulkan Fagradalsfjall dieser Tage erneut glutrote Lava.

 

Den Verlag dürfte die Gratis-Werbung freuen, und auch im Buch ist der Vulkanausbruch zunächst eine Touristenattraktion, die sich hervorragend vermarkten lässt.

 

Selbst Anna Arnsdóttir, international anerkannte Vulkanologin und Leiterin der Regierungskommission, sieht keinen Grund zur Sorge. Schließlich ist das, was schon bald passiert, gegen alle Wahrscheinlichkeit.

 

Und Anna vertraut nur auf Fakten. Die Wissenschaft ist ihr Leben. Sie hat keine Freundinnen und trifft am liebsten Arbeitskollegen, die sich für die gleichen Fachfragen interessieren, mit denen sie Vulkane und Gletscher besteigt und die Gesteinsschichten lesen wie andere Kriminalromane. „Ich lebe mein glückliches, sicheres Leben, mit meinem guten Mann und meiner schönen Familie.“

 

Doch dann ist da plötzlich der Fotograf Tómas, unkonventionell, forsch und mit wachem Blick, von dem sie sich magisch angezogen fühlt. Vergeblich versucht sie, sich gegen ihre Gefühle zu wehren. Sie lässt sich auf eine Affäre ein, und ihr altes Leben gerät aus den Fugen.

 

Vielleicht hört sie deshalb nicht auf ihr Bauchgefühl, als die Erde zu beben beginnt.

 

Mehr als ein spannungsgeladener Schmöker

 

Eine nüchterne Wissenschaftlerin, eine Liebe wie eine Naturgewalt, und ein brodelnder Vulkan – das kommt auf den ersten Blick etwas plakativ daher. Doch die Story funktioniert, denn Björnsdóttir ist eine erfahrene Journalistin und weiß, wie man spannende Geschichten erzählt.

 

Bereits mit Blackout Island hat sie einen ebenso packenden wie verstörenden Endzeit-Roman vorgelegt, in dem Island über Nacht von der Außenwelt abgeschnitten ist.

 

Islandfeuer widmet sich einem Thema, das die Identität der Inselnation prägt wie kaum ein zweites – ist Island doch eines der vulkanisch aktivsten Gebiete der Erde.

 

Und so ist das Buch denn auch weit mehr als ein Schmöker mit Thriller-Elementen. Es geht im Kern um die Frage, wer bin ich und wer will ich sein?

 

Anna hat ihre Antwort darauf vor langer Zeit gefunden. Die Mutter war ihr stets mahnendes Beispiel, gefangen in einer Traumwelt, unerreichbar für Mann und Tochter. Die Trauer über die verlorene Kindheit begleitet sie noch als Erwachsene. Doch zugelassen hat sie den Gedanken daran nie. Ruhig soll ihr Leben sein, unter Kontrolle. 

 

Am Ende muss Anna der Wahrheit ins Auge blicken. Das ist grausam und befreiend zugleich. Die Natur, sie lässt sich ebenso wenig beherrschen wie Gefühle. 

 

 

Text: Nicole Maschler

 

 

 

 

Sigríður Hagalín Björnsdóttir

Islandfeuer

Suhrkamp Verlag 2022

334 Seiten



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