08.10.2023

Víkingur Ólafsson erklärt Bach

Einst war es Glenn Gould, der sich mit Bachs Goldberg-Variationen in die Klaviergeschichte einschrieb. Heute schickt sich der Isländer Víkingur Ólafsson an, das Erbe anzutreten – und mit seiner Interpretation des barocken Werks ein neues Musikkapitel zu schreiben. 

 

Víkingur Ólafsson beim Konzert in Berlin. Bild von DIG.
Víkingur Ólafsson beim Konzert im Kulturkaufhaus "Dussmann" in Berlin. © DIG.

Vor 68 Jahren war es Glenn Gould, der mit seiner Interpretation der Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach zum Superstar der klassischen Klaviermusik wurde. Jetzt hat Víkingur Ólafsson sein Erbe angetreten – und einen ganz eigenen Stil gefunden.

 

Der Isländer spielt die Musik – und redet darüber. So jetzt auch beim (gar nicht so kurzen) Kurzkonzert im Kulturkaufhaus Dussmann in Berlin, mit dem er sein neues Album präsentierte, das an diesem Samstag bei der Deutschen Grammophon erschienen ist.

 

Er berichtet, was er da interpretiert und weshalb, spielt ein paar Takte, plaudert mit dem Publikum in der restlos ausverkauften Kulturbühne. Sein Ziel: Bach verständlich machen.

 

Und zwar nicht mit Fachjargon, sondern indem er die Zuhörenden in ihrem Alltag abholt und mit auf die Reise in die Welt der Klassik nimmt.

 

So springt er mitten im Stück auf und macht einen Witz darüber, dass er in ebenjenem Blazer angereist sei, den er bereits trug, als er 2018 sein erstes Album über Bach in der Hauptstadt vorstellte. Der sei ein bisschen enger geworden, aber passe immer noch.

 

Das gilt auch für Víkingur Ólafssons Goldberg-Variationen. Der Isländer ist quasi mühelos in das Hemd des Barock-Meisters geschlüpft. Von Enge keine Spur. Im Gegenteil: Víkingur Ólafsson schafft es, dem fast 300 Jahre alten Werk musikalische Weite und poetische Tiefe zu verleihen.

 

Das Werk, das eine hohe Virtuosität erfordert, gilt als Höhepunkt barocker Variationskunst und eine der schwierigsten Klavierkompositionen Bachs.

© DIG

Die 30 Variationen sind in zehn Dreiergruppen angeordnet und unterscheiden sich z.B. durch unterschiedliche Satztypen, Tempi, Taktarten und Tongeschlechter. Benannt sind sie nach dem in Diensten des russischen Gesandten am Dresdner Hof stehenden Cembalisten Johann Gottlieb Goldberg, der dem Grafen daraus vorspielen sollte.

 

Víkingur Ólafsson, der seine Karriere einst als Wunderkind begann, gehört längst zu den besten Pianisten seiner Zeit. Mit der jüngsten Aufnahme, so die einhellige Kritik, habe sich der 39-Jährige auf ein neues Niveau katapultiert.

 

Seine Auftritte sind von makelloser Technik; doch es ist die Leidenschaft, die fast kindliche Freude am Gelingen, die Víkingur Ólafsson bei jedem seiner Auftritte versprüht, die das Publikum in den Bann zieht.

 

Die Zuhörenden packt er, indem er ihnen ganz intime Einblicke in seinen Schaffensprozess und seine Gedankenwelt erlaubt – und das Publikum damit zugleich herausfordert, die Musik nicht nur zu konsumieren, sondern mehr über deren Ursprung zu erfahren.

 

Bachs Variationen seien, so Víkingur Ólafsson beim Konzert im Kulturkaufhaus Dussmann, ein „Brief an die Zukunft“, und der Isländer will ihn für die Nachwelt entziffern.

 

Víkingur Ólafsson, da ist sich die Kritik einig, ist ein Pianist einer neuen Generation. Einer, der mit seinen Interpretationen selbst Zukunft erschafft. 

Text: Nicole Maschler

 

Víkingur Ólafsson

Goldberg Variations Bach

Audio-CD

Deutsche Grammophon

Dauer: 1:14 Min.

Erscheinungstermin: 06.10.2023



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