15.06.2025

Feuer ohne Wärme

Ásta Siguraðardóttir passte nicht in die beschauliche isländische Gesellschaft der 1960er Jahre – eine Einzelgängerin wie ihre Figuren. Ihre Erzählungen, die jetzt unter dem Titel Streichhölzer erstmals auf Deutsch erschienen sind, sind düster und kraftvoll zugleich. 

 

Brennende Kerze vor Fenster. Bild von Thomas Grams auf Unsplash.
Keine wärmende Flamme: Erzählband "Streichholzer" von Ásta Siguraðardóttir. © Thomas Grams auf Unsplash

Streichhölzer sind die Erzählungen von Ásta Siguraðardóttir betitelt. Doch eine wärmende Flamme entzünden sie nicht. Vielmehr verbreiten die Geschichten eine Kälte, die frösteln lässt. Und doch versammelt der Erzählband, der im März im Berliner Kleinverlag Guggolz erstmals auf Deutsch erschienen ist, eines der bemerkenswertesten Werke isländischer Literatur im 20. Jahrhundert.

 

Im Mittelpunkt der Geschichten finden sich ausnahmslos Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen: eine unverheiratete Schwangere, eine Trinkerin, ein taumelnder Jüngling. Verlorene Seelen, die ihre Schwächen offenbaren und nirgends Hilfe erfahren. Geschichten von Einsamkeit und Schmerz.

 

Ásta Siguraðardóttir hatte keine Scheu, in menschliche Abgründe zu blicken – wohl auch, weil sie die Härten des Lebens am eigenen Leib erfahren hat. Geprägt war es bis zu ihrem frühen Tod mit gerade 41 Jahren von Armut, Alkohol und vielfachen Schwangerschaften. Doch Ásta Siguraðardóttir war kein Opfer.

 

Ihr Lebensstil passte nicht in die beschauliche isländische Gesellschaft – eine Einzelgängerin wie ihre Figuren. Sie wollte sich nicht anpassen, provozierte durch ihr Aussehen, die Haare tiefschwarz gefärbt, geschminkt wie Ägyptens Königin Kleopatra, in Pelzmantel und neumodische Turnschuhe gekleidet.

 

Ihren Unterhalt verdiente sie als Verkäuferin und als Aktmodell, umgab sich mit Künstlerfreunden, die in Kneipen abhingen, und schrieb Gedichte und Kurzgeschichten. Ihre erste Erzählung erschien 1951, zehn Jahre später folgte die Geschichten-Sammlung Sonntagabend bis Montagmorgen, deren Titelgeschichte den Erzählband aus dem Guggolz-Verlag einläutet.

 

Bildgewaltig und schonungslos

 

Auch in ihrem Werk forderte die Autorin bürgerliche Moralvorstellungen heraus, schrieb über Frauen ohne Bildung, ohne Geld und Selbstbewusstsein, die von Männern zum Sex gezwungen und missbraucht werden. Tabuthemen, zumal im konservativen Island der 1960er Jahre.

 

Doch es sind nicht nur Frauen, über die Ásta Siguraðardóttir schreibt. Mit der gleichen Genauigkeit erzählt sie von einem jungen Mann, der einem Mädchen nachhängt, oder einem Bauern, der Frau, Kinder und Tiere misshandelt – alles wegen seiner geliebten Tochter, für deren frühen Tod er die Mutter verantwortlich macht.

 

Bildgewaltig und schonungslos bis zur Brutalität – eine solche Radikalität ist man von Autorinnen nicht gewohnt.

 

Dabei ist Ásta Sigurðardóttirs Sprache kraftvoll und voller Poesie zugleich. „Ich überließ mich dem Rausch, selig in mich versunken, und genoss die Berührungen der Regentropfen, die schwer herabfielen.“

 

Viele Geschichten aus dem Erzählband gelten heute in Island als Klassiker, sind Schullektüre und für das Theater adaptiert.

Zu Lebzeiten erfuhr die Schriftstellerin keine Anerkennung, war Gerede und Verleumdungen ausgesetzt.

 

Eine Außenseiterin, die es in die dunklen Winkel der Seele zog – dahin, wo keiner folgen mochte. 

 

 

 

Ásta Sigurðardóttir

Streichhölzer

Guggolz-Verlag, Berlin

erschienen am 07.03.2025

221 Seiten



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