31.07.2022

Politik der Lügen

Krisenhelferin Úrsúla kehrt nach Island zurück und übernimmt übergangsweise den Posten der Innenministerin. Doch bald muss sie erfahren, dass es sich auch als Politikerin gefährlich lebt. Lilja Sigurðardóttirs Thriller Betrug erzählt von den dunklen Seiten der Macht.

 

Blick durch eine Maueröffnung auf Treppenhaus. Bild von Todd Quackenbush auf Unsplash.
Bei Lilja Sigurðardóttir begleiten Intrigen den Weg an die Macht. © Todd Quackenbush auf Unsplash.

 

Die Kandidatin ist perfekt: eine Frau, parteilos und ohne politische Erfahrung. Der Premierminister und seine Entourage sind zufrieden.

 

Gut ein Jahr vor der Wahl soll Úrsúla übergangsweise den Posten der Innenministerin übernehmen – und der Regierung ganz nebenbei ein paar unbequeme Themen vom Hals schaffen.

 

Doch die Parteispitze hat nicht mit den Ambitionen der ehemaligen Krisenhelferin gerechnet, und bald muss Úrsúla erfahren, dass es sich auch als Politikerin gefährlich lebt. 

 

Nach ihrer erfolgreichen Island-Trilogie hat Lilja Sigurðardóttir mit Betrug erneut einen Thriller vorgelegt. Einmal mehr stehen Frauen im Mittelpunkt des Buches, und wieder geht es um die dunklen Seiten der Macht.

 

„Hart, kompromisslos und beunruhigend“, urteilt Krimi-Kollegin Val McDermid, und in der Tat ist der isländischen Erfolgsautorin mit Betrug ein überzeugender Thriller über Intrigen und Skrupellosigkeit in der Politik gelungen.  

 

Krisenhelferin in Not

 

Jahrelang war Úrsúla für Hilfsorganisationen in aller Welt unterwegs. Jetzt fühlt sie sich ausgebrannt und leer und will endlich wieder Zeit für die Familie haben.

 

Der Regierungsjob ist deshalb eine doppelte Chance: noch einmal neu anfangen und dabei etwas bewirken. Sie stürzt sich in die Arbeit, und selbst die bösen Stimmen gegen ihre Ernennung, die aus dem Regierungslager laut werden, können ihr nichts anhaben.

 

Doch schon bald landet Úrsúla auf dem harten Boden der Realität. Ein junges Mädchen wurde offenbar Opfer einer Vergewaltigung, missbraucht von einem Polizisten, in dessen Haus sie sich als Babysitterin ein Taschengeld verdiente.

 

Innenministerin Úrsúla setzt sich persönlich dafür ein, dass der Fall rasch aufgeklärt wird und betraut ihren Staatssekretär mit der Angelegenheit. Doch die Untersuchung kommt nicht voran.

 

Wer könnte ein Interesse daran haben, die Geschichte unter den Teppich zu kehren?

 

Im Ministerium stößt sie auf eine Mauer des Schweigens, und auch unter Lobbyisten und Interessengruppen hat sie sich mit ihrer kompromisslosen Linie nicht nur Freunde gemacht.

 

Rolle: Sündenbock

 

Vom Premierminister kann sie keine Unterstützung erwarten, hat er ihr doch die Rolle des Sündenbocks zugedacht: Úrsúla soll ein teures Straßenbauprojekt beerdigen, das der Regierung zwar im Wahlkampf Stimmen gebracht hat – aber wegen eines zwielichtigen Investors zunehmend zur Gefahr wird.

 

Nach der Wahl, so der Plan, soll die Übergangsministerin ihren Hut nehmen und den Platz für einen Parteifreund räumen. Doch Úrsúla denkt gar nicht daran, das Spiel mitzuspielen.

 

Sie stiftet einen Journalisten an, die Mutter des Vergewaltigungsopfers zu interviewen – und sich dann mit Nachfragen zum Ermittlungstand an ihr Ministerium zu wenden. Das gibt ihr die Gelegenheit, so hofft sie, im eigenen Haus aufzuräumen.

 

Doch die Sache läuft aus dem Ruder, und schließlich ist es Úrsúla, die unter Druck gerät. Sie erhält Drohmails, ihr Facebook-Account wird gehackt, ihr Profil taucht auf Dating-Apps auf.

 

Unversehens steht sie im Zentrum der Ereignisse, und der psychische Stress lässt alte Traumata wieder aufbrechen.

 

Da erscheint Pétur wie ein Geist aus der Vergangenheit, ein Obdachloser, der Úrsúla wiederholt auflauert und sie vor dem „Teufel“ warnt. Einst war er mit ihrem Vater befreundet; doch im Suff hat er ihn umgebracht, als die beiden im Gefängnis saßen – zumindest behauptet das die Polizei.

 

Dann liegt auch Pétur tot im Hafenbecken. Úrsúla, die tags zuvor noch nach ihm gesucht hatte, gerät in Erklärungsnot.

 

Und mehr und mehr stellt sich die Frage, wem die Ministerin noch trauen kann.

 

Böse Abrechnung mit der Politik

 

Betrug ist eine böse Abrechnung mit der isländischen Politik.

 

Cliquenwirtschaft und heimliche Auslandskonten, ein Vertuschungsskandal um einen verurteilten Kinderschänder, Parlamentsabgeordnete, die sich sexistisch über ihre Kolleginnen äußern – jahrelang wurde Island von politischen Skandalen erschüttert.

 

Lilja Sigurðardóttir legt den Finger in die Wunde.

 

Und diejenigen, deren Aufgabe es wäre, über Missstände zu informieren? Spielen bei ihr eine ebenso unrühmliche Rolle.

 

Ein korrupter Journalist auf der Jagd nach der großen Story, angefeuert von einer enthemmten Internet-Community. Fakenews, Hassmails und verbale Gewalt gegen Frauen. Schöne neue Medienwelt.

 

Lilja Sigurðardóttir entblättert diese dunkle Geschichte stringent und spannend. Ein atmosphärisch dichter Thriller, der weitaus mehr überzeugt als ihre Debüt-Reihe vor zwei Jahren.

 

Am Ende zieht sich Úrsúla freiwillig aus der Politik zurück, um in der Flüchtlingshilfe zu arbeiten. Vorerst jedenfalls.

 

Es klingt wie eine Drohung. 

 

 

Text: Nicole Maschler 

 

 

 

 

 

Lilja Sigurðardóttir 

Betrug

DuMont Buchverlag 2022

416 Seiten



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