20.12.2021

Tanz auf Islands Vulkanen

Islands feuerspeiende Riesen faszinieren Wissenschaft, Kultur und Hobby-Vulkanologen gleichermaßen. Im digitalen Zeitalter wird jeder neue Ausbruch zum Live-Spektakel. Doch noch immer bergen die Vulkane auf der Insel viele Geheimnisse – und Gefahren. 

 

Lava eruptiert aus Vulkanspalten. Bild von Pierre-Yves Burgi auf Unsplash.
Vulkanisch höchst sensibles Gebiet: Island. © Pierre-Yves Burgi auf Unsplash.

 

Island ist ein echter Hotspot. Auf der beliebten Insel gibt es rund 130 Vulkane. Kein Wunder, dass Professor Otto Lidenbrock seine Reise zum Mittelpunkt der Erde in Jules Vernes Fantasy-Klassiker auf dem abgelegenen Eiland im Nordatlantik antrat.

 

Doch während Forscher Lidenbrock sich 1863 noch mit Spitzhacke und Seil abmühte, sind Islands Vulkanologen heute mit modernster Digitaltechnik unterwegs – und dank Video-Stream können wir live dabei sein.

 

Das jüngste Naturschauspiel begann im März in der abgelegenen Region Geldingadalir. Mitten in der Nacht spuckte der Vulkan Fagradallsfjall Lava-Fontänen, und der zähflüssige Gesteinsbrei ergoss sich rund einen Quadratkilometer entlang der Bergflanken.

 

Nur einen Tag später platzierten isländische Wissenschaftler:innen eine Webcam am Ausbruchsort, und Freizeit-Vulkanolog:innen auf der ganzen Welt konnten das Geschehen fortan im Netz mitverfolgen.

 

Schnell wurde der feuerspuckende Riese zum Must-see – Tausende machten sich auf den Weg, um das Höllenspektakel vom Gónhóll, dem Glotzhügel, aus mit eigenen Augen zu sehen. In den folgenden Wochen und Monaten öffneten sich immer neue Spalten; bis heute sind 150 Millionen Kubikmeter Lava ausgeflossen.

 

Vulkan-Spektakel

 

Und auch ehrgeizige Pläne für die Vulkanregion schossen aus dem Boden: So sieht ein „Zukunftsentwurf“ neben 500 Parkplätzen nicht nur Toilettenhäuschen, Wanderwege und Überwachungskameras vor, sondern auch ein Informationszentrum im nahen Fischerort Grindavík.

 

Das weckt Erinnerungen an den Rummel um Fagradalsfjalls großen Bruder vor elf Jahren. Eyjafjallajökull – oder E 15, wie ihn die Fachleute nennen – ließ 2010 den Luftverkehr über Europa zusammenbrechen. Die Bilder von den mächtigen Aschewolken verbreiteten sich binnen kürzester Zeit via Youtube & Co. und brannten sich tief ins kollektive Gedächtnis ein.

 

Die ersten Fotos schoss Olafur Eggertsson, dessen Hof Þorvaldseyri am Fuße des feurigen Riesen liegt. Seither pilgern jedes Jahr Zehntausende Vulkan-Fans an die Südküste der Insel, um einen Blick auf Islands berühmtesten Bauern zu erhaschen und sich in seinem kleinen Privatmuseum ein wenig zu gruseln.  

 

Im Souvenir-Shop gibt es T-Shirts mit E15-Höhenlinien und Asche im Glas, sechs Euro das Stück, und im hauseigenen Kino einen Kurzfilm über den unerschrockenen Hausherrn, der blieb, als alle flohen, erst auf den Auslöser seiner Kamera drückte und dann die Ascheberge aus seinem Garten schippte – eine Geschichte wie aus dem Hollywood-Drehbuch.

 

Und so war es nur eine Frage der Zeit, bis beim US-Streamingdienst Netflix die erste Serie über die Bildschirme flimmerte, in der ein Vulkan die Hauptrolle spielt. Sendestart für Katla war im Juni 2021 – ein geradezu perfektes Timing.

 

 

Fotos: Unsplash (1 und 3), Screenshot Youtube (2)

 

 

Den Ort der Handlung, das Dorf Vík í Mýrdal im Süden, gibt es wirklich, und Katla ist einer der aktivsten Vulkane Islands – das sorgt ohne Frage für Nervenkitzel. Beim letzten Ausbruch 1918 kam es zu einem Gletscherlauf – eine gigantische Flutwelle aus Schmelzwasser, auf der riesige Eisberge ins Meer rasten. Die 14 Meter hohe Eruptionssäule war noch im 150 Kilometer entfernten Reykjavík zu sehen.

 

Als sich 1783 der Laki-Krater entlud, waren die Folgen selbst noch in Europa zu spüren. Blauer Dunst verdunkelte monatelang die Insel, zog über England und bis zum Kontinent, verpestete die Luft und vergiftete die Erde - eine toxische Wolke aus Kohlendioxid und schwefeliger Säure. 

 

In Island verendete jedes zweite Rind und fast alle Schafe starben; 10.000 Menschen kamen bei dem Ausbruch ums Leben oder verhungerten in den folgenden Jahren – ein Fünftel der damaligen Bevölkerung. Auf der gesamten Nordhalbkugel sanken die Temperaturen, überall Missernten, Hungersnöte und Seuchen – die größte Naturkatastrophe der Neuzeit.

 

Seit 1947 waren in Island bei zwölf Vulkanausbrüchen zwei Tote zu beklagen. Dass nicht mehr passiert ist, kann man wohl als Glück bezeichnen. Im Falle eines Ausbruchs schlägt Islands Katastrophenschutz Alarm, und Mobiltelefone, die in der Gegend eingeloggt sind, erhalten Warnmeldungen per SMS. Doch die wenigsten Reisenden nutzen die App 112 der isländischen Polizei – von den Funklöchern in Islands Weiten ganz zu schweigen.

 

Netz- und andere Probleme

 

Da wirkt es doppelt komisch, wenn Autor Þórarinn Leifsson in seinem Buch Kaldakol bei einem fiktiven Vulkanausbruch gleich die ganze Insel evakuieren lässt – und sich die isländischen Flüchtlinge in ihrer Unterkunft auf dem Tempelhofer Feld in Berlin als erstes über den schlechten Netzempfang beschweren.

 

Schließlich konnten die Fachleute vom Nordischen Vulkanologischen Institut (Nordvulk) die letzten Ausbrüche der Hekla, die seit Beginn der Besiedlung rund 20 Mal eruptierte, gerade einmal 20 Minuten vorher erkennen. Da dürfte auch Highspeed-WLAN nicht mehr helfen.

 

Vulkanforscher setzen nun auf das erste unterirdische Magma-Observatorium, das im Nordosten der Insel entsteht. An dem 100 Millionen Dollar-Projekt Krafla Magma Testbed (KMT) sind 38 Forschungsinstitute und Unternehmen aus elf Ländern beteiligt, darunter Deutschland, die USA, Großbritannien und Frankreich. Die ersten Bohrungen sollen 2024 starten.

 

Die Fachleute versprechen sich davon, mehr über das Verhalten der feuerspuckenden Berge zu erfahren und Vulkanausbrüche künftig besser vorhersagen zu können.

 

Auch wenn das Risiko, den schlafenden Riesen zu wecken, aus ihrer Sicht gering ist: Einen Vulkan anzubohren, ist keine Kleinigkeit - müssen die Bohrstangen doch der Korrosion durch 450 Grad heißen Dampf standhalten. 

 

Erfahrungswerte gibt es keine – von Professor Lidenbrocks Abstieg in den Krater des Snæfellsjökull einmal abgesehen.  


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