02.09.2025
Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist die Arktis-Region in den Strudel geopolitischer Konflikte geraten. Die gewaltigen Rohstoffvorkommen wecken zahlreiche Begehrlichkeiten. Im Ringen der Großmächte haben kleine Anrainer wie Island das Nachsehen.
Eigentlich tagt der Arktische Rat abseits der Scheinwerfer. Doch seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine gerät die Polarregion zunehmend in den Strudel geopolitischer Konflikte.
Als einziges internationales Forum befasst sich das zwischenstaatliche Gremium ausschließlich mit der sensiblen Arktis – eigentlich. Denn statt mariner Umwelt und Klimaschutz geht es immer häufiger um die Interessen der Großmächte im hohen Norden.
Neben den USA, Kanada, Russland, Norwegen und Dänemark (mit Grönland) gehören dem Gremium auch Finnland, Schweden und Island an.
Bislang lautete das oberste Prinzip: Politik hinter geschlossenen Türen und Entscheidungen im Konsens.
Doch im Mai 2019 endete ein Außenministertreffen erstmals ohne eine offizielle Erklärung. Stattdessen gab es zum Abschluss des finnischen Ratsvorsitzes nur eine dürre "ministerielle Stellungnahme".
Es habe unterschiedliche Auffassungen zum Klimawandel gegeben, räumte Finnlands Außenminister Timo Soini nach dem Treffen in Rovaniemi schmallippig ein.
US-Außenminister Mike Pompeo hatte seine Rede lieber genutzt, um China und Russland vor einseitigem Vorgehen in der Region zu warnen.
Plötzlich auf der weltpolitischen Bühne
Ungewollt fand sich der Arktische Rat so auf der grellen Bühne der Weltpolitik wieder.
Während des Kalten Krieges zählte die Arktis zu den am stärksten militarisierten Gebieten der Welt. Das änderte sich erst mit dem Amtsantritt von Michael Gorbatschow. In seiner Murmansk-Rede rief der sowjetische Staatschef im Oktober 1987 dazu auf, die Polarregion in eine "Zone des Friedens" zu verwandeln.
Ein Gedanke, der auch die Einrichtung des Arktischen Rates leitete: Gemäß der Ottawa-Erklärung von 1996 schloss sein Mandat militärische Sicherheit ausdrücklich aus.
Das Gremium sollte sich auf den Schutz und die nachhaltige Entwicklung der Arktis konzentrieren.
Eine Aufgabe, die dringlicher scheint denn je. Denn vom Klimawandel ist die Arktis besonders betroffen. Die Durchschnittstemperaturen steigen hier deutlich schneller als in anderen Teilen der Welt.
Bis 2050 wird Nordpol im Sommer eisfrei
Bis 2050 wird der Nordpol nach neuesten Berechnungen in vielen Sommern eisfrei sein. Die Eisschmelze eröffnet ganz neue Schifffahrtsrouten und die Aussicht auf gewaltige Rohstoffvorkommen.
Das weckt Begehrlichkeiten – weit über die Arktis-Anrainer hinaus.
So erklärte sich China 2018 kurzerhand zum Near Arctic State, zum Nah-Anrainer. Schließlich sei es einer der Staaten auf dem asiatischen Kontinent, die dem Polarkreis am nächsten liegen.
Offiziell klingt das so: Man wolle einen Beitrag zum Schutz der Polarregion leisten. Doch im Rahmen der chinesischen Belt and Road Initiative, einem gigantischen Infrastruktur- und Handelsprojekt, kommt dem Nordpolarmeer – neben dem Landweg durch Zentralasien und dem indo-pazifischen Seeweg – geostrategische Bedeutung zu.
Jubiläumsfeier der DIG
Donnerstag, 11.09.2025
Historisches Museum
An der Geeste, Bremerhaven
Podiumsrunde – 15:30 bis 17:30 Uhr
Island zwischen Arktis und EU
Einführung: I.E. Bergdís Ellertsdóttir (ehem. Botschafterin und Nationale Arktis-Beauftragte Islands)
und Diskussion mit:
Samuel Rodriguez Ortega (stellv. Vorsitzender des Deutschen Hochseefischerei-Verbandes, Hamburg), Dr. Volker Rachold (Leiter des Deutschen Arktisbüros am Alfred-Wegener-Institut, Potsdam) und Philipp Sander (Desk Officer im Auswärtigen Amt, Berlin)
Moderation: Dr. Gerd Kraus (Leiter des Thünen-Instituts für Seefischerei, Bremerhaven)
Russland braucht China – und umgekehrt
Doch Chinas Projekt einer polaren Seidenstraße ist nicht denkbar ohne einen anderen großen Player. Russland sei der größte Arktisstaat und fast ein Drittel seines Territoriums liege im Polargebiet, hat Präsident Wladimir Putin wiederholt betont. Soll heißen: An Moskau kommt in der Arktis keiner vorbei.
Dabei ist der arktische Klimawandel für Russland Fluch und Segen zugleich. Denn mit der Eisschmelze werden die bisherigen Außengrenzen durchlässiger – worauf Moskau mit verstärkter Militärpräsenz in der Region reagiert.
Zugleich eröffnen sich neue Wirtschaftschancen: So setzt der 2020 veröffentlichte 15-Jahres-Plan bei der Entwicklung des Landes auf arktische Ressourcen.
Doch das geht nicht ohne den finanzstarken Partner China, jedenfalls so lange wie Russland mit westlichen Sanktionen belegt ist. Und so bietet Moskau Zugang zu Häfen und Infrastruktur – als Gegenleistung für chinesische Investitionen.
Politisches Kalkül der USA
Zunehmend ungehalten reagieren die USA auf den wachsenden Einfluss der beiden Konkurrenten. Nach dem Kalten Krieg hatten sie der Arktis lange Zeit keine besondere Bedeutung beigemessen. Doch nun sind sie zurück im Spiel.
Im Juni 2020 erfolgte die Wiedereröffnung des US-Konsults in Grönlands Hauptstadt Nuuk, verbunden mit einem Investitionspaket von stolzen 12 Millionen US-Dollar.
US-Präsident Donald Trump will gar die ganze Insel kaufen. Was nach einem schlechten Witz klingt, folgt doch politischem Kalkül.
Aus US-Sicht nimmt Grönland, wie Island, eine strategisch wichtige Position ein. Im Sommer 2018 reaktivierte die US-Marine ihre 2. Flotte, die im Kalten Krieg die sowjetischen Nordmeer-Verbände im Visier hatte, und verstärkte die Präsenz in der Arktis.
Das Führungs- und Einsatzzentrum liegt seit September 2019 im isländischen Keflavík.
Islands Sorgen
Island treibt die Sorge um, dass der Arktische Rat durch das Gebaren der Großen an Einfluss verlieren könne. Es hat sich deshalb eine Stärkung des Gremiums auf die Fahnen geschrieben.
Daneben setzt die Inselnation auf eine stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit und will den 2014 gegründeten Arktischen Wirtschaftsrat aufwerten.
Die Fischerei aus arktischen Gewässern ist für Island ein wichtiges Standbein, das es mit dem Ausbau seiner Infrastruktur stärken will. Jüngstes Beispiel: der Tiefwasserhafen in Finnafjord, der Drehkreuz für Transporte durch das Nordpolarmeer werden soll.
Doch nach dem russischen Angriff auf die Ukraine lag die Kooperation im Arktischen Rat erst einmal auf Eis – und damit wichtige Projekte wie die internationale Eisbärenforschung und langjährige Messreihen zum Klimawandel.
Zusammenarbeit zwischenzeitlich auf Eis
Zwar wurde die Tür nicht ganz zugeschlagen. Aber die anderen Mitglieder nahmen vorerst nicht mehr an Treffen und Aktivitäten des Rates teil – ausgerechnet unter dem Vorsitz Russlands stellte der Rat de facto seine Arbeit ein.
Erst als der Staffelstab an Norwegen ging, verständigten sich die Mitglieder Anfang 2024 darauf, die Arbeitsgruppen wieder aufzunehmen, jedoch nur auf technischer Ebene – ohne politische Kontakte zu Russland. Im Mai 2025 endete Norwegens Vorsitz, und Dänemark übernahm.
Was bleibt, ist die frostige Stimmung im Rat. So beschwerte sich Russland prompt darüber, dass es von Kopenhagen nicht in Pläne und Prioritäten einbezogen worden sei.
Allein, die neuerliche Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, Grönland von Dänemark übernehmen zu wollen, trägt nicht eben dazu bei, die Zusammenarbeit unter den westlichen Partnern zu erleichtern – von den Unstimmigkeiten in der Handelspolitik und mit Blick auf die Ukraine ganz zu schweigen.
Island dürfte weiter mit Sorge auf die Arktis blicken.