07.08.2025

Gipfel-Treffen im Norden

Lange Zeit hat Island Distanz zur Europäischen Union gewahrt. Doch nun nimmt die Beitrittsdynamik erneut Fahrt auf. Der Besuch von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Norden sendet ein klares Signal – die Welt hat sich verändert und mit ihr Europa.  

 

EU-Präsidentin von der Leyen, Premierministerin Frostadóttir und Außenministerin Gunnarsdóttir. EC - Audiovisual Service.
Gipfel-Treffen in Island: EU-Präsidentin zu Besuch im hohen Norden. © EC - Audiovisual Service.

Ein Foto mit Symbolwert: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklimmt mit Islands Premierministerin Kristrún Frostadóttir Þingvellir – den Ort, an dem seit 930 n.Chr. das Alþingi tagte, das älteste Parlament der Welt. Die Flagge im Hintergrund symbolisiert die isländische Nation und die Unabhängigkeit des Inselstaates, die hier 1944 proklamiert wurde.

 

Für ihr High-Level-Meeting Mitte Juli hätten die beiden Politikerinnen keinen besseren Ort finden können – steht das Gipfel-Treffen doch auch für das Auf und Ab in den Beziehungen zwischen Island und der Europäischen Union.

 

Der hohe Besuch aus Brüssel soll ein Signal senden. Nach mehr als einem Jahrzehnt Stillstand rücken der Inselstaat und Europa wieder näher zusammen. Besonders bemerkenswert: Im Fokus der Gespräche stand die Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Zwar ist Island Gründungsmitglied der NATO, verfügt aber über kein eigenes Militär. Und: An der mangelnden Verteidigungsfähigkeit der EU gibt es notorisch Kritik.

 

Doch angesichts der politischen Zeitenwende soll nun ein neues Kapitel aufgeschlagen werden. Der Besuch von der Leyens in Island sendete dazu die passenden Bilder.

 

Neues Kapitel in EU-Beziehungen

 

Während ihres Aufenthaltes besichtigte die EU-Chefin unter anderem die Sicherheitszone am Flughafen Keflavík. Während des Kalten Krieges spielte die einstige Air-Base des US-Militärs eine zentrale Rolle bei der Überwachung sowjetischer Aktivitäten im Nordatlantik. 

 

Island strebe eine sog. Sicherheits- und Verteidigungspartnerschaft mit der EU an, hieß es nach der Stippvisite der Kommissionspräsidentin aus Brüssel. Geplant ist eine engere Zusammenarbeit bei der Reaktion auf hybride Bedrohungen, beim Katastrophenschutz und bei der sicheren Kommunikation. Die isländische Regierung will die Gespräche nach eigenen Angaben bis zum Jahresende abschließen.

 

Acht Länder haben bereits ein Abkommen mit der EU abgeschlossen, darunter Norwegen, Großbritannien und Kanada. Dadurch können sie vom SAFE-Projekt profitieren und sich an der gemeinsamen Beschaffung beteiligen. SAFE bedeutet Sicherheitsmaßnahmen für Europa und ist ein neues Finanzinstrument der EU. Umfang: 150 Milliarden Euro.

 

Umgekehrt soll es der neue Schulterschluss auch EU-Mitgliedstaaten ermöglichen, in Drittländern wie der EFTA – die über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) eine vertiefte Freihandelszone mit der EU bildet, der auch Island angehört – Rüstungsgüter zu kaufen.  

 

Handelsbeziehungen neu justieren

 

Geplant ist zudem, Islands Handelsbeziehungen mit der EU neu zu justieren. Der Prozess solle bald beginnen, sagte die isländische Premierministerin Kristrún Frostadóttir.

 

Bereits im Dezember hatte ihre Regierung angekündigt, über die Frage der EU-Mitgliedschaft innerhalb der kommenden zwei Jahre ein Referendum abzuhalten, und sie hat auch bereits Mittel für eine öffentliche Diskussionsplattform bereitgestellt.

 

Eine zentrale Frage wird sein, ob der Euro die Isländische Krone ablösen soll. Dazu werde ein Expertengremium Vor- und Nachteile abwägen, erklärte die Ministerpräsidentin.

 

Auf der Agenda steht neben den Verhandlungen zu Sicherheit und Verteidigung auch das Meeresmanagement. Gerade haben Island und die EU eine neue Vereinbarung über Fischerei und Meeresangelegenheiten unterzeichnet. Beide Seiten wollen ihre kritische Infrastruktur besser schützen und illegale Aktivitäten auf See bekämpfen.

 

In den Sommermonaten wurden immer wieder russische Trawler vor Islands 200-Seemeilen-Zone gesichtet, die das Fischereiverbot ignorieren, das in dieser Region gilt – nicht zum ersten Mal. 

 

Die Beratungen zu den sensiblen Themen im Fischereisektor dürften den Ausgang des Prozesses am Ende entscheiden – nicht zuletzt, weil sie die Haltung der traditionell EU-skeptischen Oppositionsparteien bestimmen, der liberal-konservativen Unabhängigkeitspartei (Sjálfstæðisflokkurinn) und der Fortschrittspartei (Framsóknarflokkurinn), die das Interesse der isländischen Agrarwirtschaft vertritt.

 

Rückenwind für EU-Beitrittsgespräche

 

Doch die Mehrheit der Isländerinnen und Isländer ist der Politik längst einen Schritt voraus. Bereits 2023 sprachen sich in einer Umfrage mehr als 54 Prozent der Befragten für einen Beitritt aus. Zu Jahresbeginn befürworteten 58 Prozent in einer weiteren Erhebung das Referendum, 53 Prozent sprachen sich für eine neue Währung, sprich: den Euro, aus.

 

Rückenwind für die EU-freundlichen Koalitionspartner aus sozialdemokratischer Allianz (Samfylkingin) und Reformpartei (Viðreisn), die zusammen auf 26 Sitze im neu gewählten Parlament kommen. Der dritte Partner im Bunde, die populistische Volkspartei (Flokkur fólksin), steht Europa kritisch gegenüber. Für eine Mehrheit im Alþingi bräuchte es 32 Abgeordnete. 


Island und Europa

1. Januar 1970: Island wird Mitglied der Europäischen Freihandelszone (EFTA). 

 

1. Januar 1972: Ein bilaterales Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und Island tritt in Kraft. 

 

1. Januar 1973: Das Freihandelsabkommen zwischen den EFTA-Mitgliedern und der EG tritt in Kraft.

 

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Allein, die massiven geopolitischen Erschütterungen und wirtschaftliche Faktoren könnten ein neues Momentum für Islands EU-Beitritt auslösen.

 

Bereits im Zuge der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2010 hatte sich Reykjavík um die Mitgliedschaft beworben. Doch nachdem ein Regierungswechsel die EU-Kritiker von Unabhängigkeits- und Fortschrittspartei ans Ruder brachte, legte die Inselnation die Aufnahmegespräche auf Eis und zog den Beitrittsantrag Anfang 2015 schließlich ganz zurück.

 

Nun ist alles anders. Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine und der durch US-Präsident Donald Trump vom Zaun gebrochene Handelskrieg haben vielerorts für ein Umdenken gesorgt. Denn die Länder an der Peripherie Europas sitzen plötzlich zwischen allen Stühlen.

 

In kürzester Zeit hat Trumps politische Unverfrorenheit die Beziehungen zwischen Island und den USA auf einen historischen Tiefpunkt sinken lassen.

 

Die von Washington verhängten Zölle treffen auch die Inselnation, die stark vom Außenhandel abhängt. Handelsbarrieren sind Gift für die isländische Wirtschaft, die aufgrund von Corona- und Energiekrise in den vergangenen Jahren mit Inflationsraten auf Rekordniveau zu kämpfen hatte.

 

Dass Trump zudem keinen Hehl aus seinen Besitzansprüchen gegenüber dem zu Dänemark gehörenden halbautonomen Grönland macht, sendete Schockwellen bis nach Island, das auch in der Außen- und Sicherheitspolitik zunehmend zwischen die Fronten gerät.

Russland hat angekündigt, seine Militärpräsenz in der Arktis auszubauen; die Manöver der russischen Nordmeerflotte in der Polarregion lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass Moskau es ernst meint.

 

Als erstes europäisches Land hat Island 2023 seine Botschaft in der russischen Hauptstadt wegen des Ukraine-Krieges geschlossen. Die Beziehungen sind seither mehr als frostig, und für den Inselstaat wird die Lage im strategisch wichtigen Nordatlantik zunehmend ungemütlich.

 

Je weniger Island auf die USA vertrauen kann, desto wichtiger wird die Partnerschaft mit der EU – auch in Sicherheitsfragen.

„Ich denke, es ist ganz klar, dass es einen sehr deutlichen Ruf nach Veränderung gibt, die Ergebnisse zeigen dies schwarz auf weiß“, sagte Kristrún Frostadóttir nach ihrem Wahlsieg Ende November.

 

Islands Kehrtwende in der EU-Politik ist auch das Eingeständnis, dass die Welt sich verändert hat.