20.12.2021

Von Sommergeschenken und Winterglück

Weihnachtsgeschenke gibt es in Island erst seit Ende des 18. Jahrhunderts. Was mit einfachen Kerzen begann, hat inzwischen bemerkenswerte Ausmaße angenommen – wird die kleine Insel doch seither regelmäßig von Geschenke-Wellen heimgesucht. 

 

Kerzen. Bild von Chase Eggenberger auf Unsplash.
Mit einer Kerze fing alles an: Weihnachten in Island. © Chase Eggenberger auf Unsplash.

 

Weihnachten war früher im Sommer. Zumindest in Island. Geschenke zum Fest gibt es dort nämlich erst seit Ende des 18. Jahrhunderts. Bis dahin war es üblich, sich Sommergeschenke zu überreichen – und zwar am sumardagurinn fyrsti, dem ersten Sommertag.

 

In einem Land, in dem die dunkle Jahreszeit derart grimmig ist, dass sie über Generationen einem Kampf ums Überleben gleichkam, wurde in Wintern gerechnet und nicht in Jahren. Und der erste Sommertag bedeutete, dass die harten Monate überstanden waren.

 

Seit 1921 ist der Donnerstag nach dem 18. April in Island ein Feiertag. In früheren Zeiten begingen die Menschen ihn mit einem Fest, das oft feierlicher war als Heiligabend. Die Bauern ruhten von ihrer schweren Arbeit aus, und die Kinder durften mit den Freunden vom Nachbarhof spielen.

 

Die ersten Geschenke: Kerzen

 

An Weihnachten gab es zwar auch etwas – aber keine Geschenke, sondern Almosen für Arme, Essen oder ein neues Kleidungsstück für Knechte und Mägde als Lohn für die monatelange Plackerei.

 

Mit den besseren Zeiten kamen die ersten Geschenke: Kerzen. Was wenig spektakulär klingt, war doch ein echtes Highlight. Schließlich gab es noch kein elektrisches Licht.

 

Und die Kerzen aus Talg, ein Abfallprodukt beim Schlachten, leuchteten um ein Vielfaches heller als die alten Fischöl-Lampen. Die hatten vor allem für eines gesorgt: jede Menge Rauch und noch mehr Gestank.

 

Eine eigene Kerze war deshalb ein echter Lichtblick in den langen isländischen Wintermonaten: Plötzlich konnte man auch bei Dunkelheit tun und lassen, was man wollte – nähen, stricken oder lesen (schließlich sind wir in Island …). Bis dahin hatte sich der gesamte Haushalt um eine Leuchte gedrängt, die ihren Namen nicht verdiente.

 

 

 

Fotos: Unsplash

 

 

Zu den Kerzen gab es später Spielkarten. Und heute, da die bunte Warenwunderwelt auch auf die abgelegene Nordatlantikinsel vorgedrungen ist?

 

Gibt es dennoch für alle das gleiche – das behauptet zumindest Alda Sigmundsdóttir in ihrem vergnüglichen Buch Little Book of the Icelanders at Christmas.

 

In regelmäßigen Abständen werde Island nämlich von Geschenke-Wellen heimgesucht. Erst kamen die Adventslichter (siehe oben), dann der Spiele-Klassiker Trivial Pursuit (1984), später elektronische Stress-Monitore (1988), Entsafter (2006) und schließlich Islandpullis (2010) und i-Pads (2011).

 

Ganz zu schweigen von dem Hype um die Clairol-Fußsprudelbäder im Jahr 1982. Das elektrische Massagegerät war in Island ein solcher Renner, dass der dänische Großhändler eigens einen Kundschafter auf die Insel entsandte – um sicherzugehen, dass der Importeur die türkisfarbenen Dinger nicht etwa heimlich ins Ausland weiterverkaufte.

 

20.000 türkisfarbene Fußmassagen

 

Aber nein, die Apparate fanden auf der Insel derart reißenden Absatz, dass der Ladenbesitzer sie schließlich direkt aus dem 40-Fuß-Seecontainer verkaufte, in dem sie angeliefert wurden. Der Aufwand lohnte nicht, den Behälter samt Inhalt gen Laden zu wuchten – nur um die leere Box wenig später wieder zum Hafen zu schleppen. Am Ende waren 20.000 Fußmassagen weg und auch das abgelegenste Dorf versorgt – lebten damals doch gerade einmal 234.000 Menschen auf Island. 

 

Manche, schreibt Alda Gudmundsdóttir, machen für die Geschenke-Wellen die Leichtgläubigkeit der Isländerinnen und Isländer verantwortlich, die alles "abkaufen", was ihnen die Werbung verspricht. Für andere spiegele sich darin die isländische Technik-Begeisterung wider und der Drang, mit Hulda und Magnús von nebenan mithalten zu wollen.

 

Der Islandpulli fällt da nur scheinbar aus dem Rahmen … äh … der Geschenkeliste. Nach dem Finanzcrash 2008 war das wollige Teil für viele ein wärmender Begleiter – und ein Stück isländischer Identität.

 

Und genau darum geht es schließlich an Weihnachten – um Geborgenheit, Zugehörigkeit und das Gefühl, gemeinsam allen Stürmen des Lebens zu trotzen. Wer braucht da noch ein Sommergeschenk?


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