21.12.2021
Islands Botschafterin Erla María Marelsdóttir hat ihren Posten in Berlin in schwierigen Zeiten angetreten. Wie sie das Corona-Jahr erlebt hat und warum sie trotz allem positiv in die Zukunft blickt, berichtet sie im Interview mit der Deutsch-Isländischen Gesellschaft.
Frau Botschafterin, im Herbst 2019 haben Sie Ihr Amt in Berlin angetreten. Wie hat die Corona-Pandemie Ihre Arbeit geprägt?
Die Pandemie hat meine Arbeit und Ziele als Botschafterin sehr geprägt. Wir mussten alle Veranstaltungen stornieren oder virtuell organisieren, natürlich ohne die persönlichen Kontakte, die ich sehr vermisse.
Ich habe auch weniger Möglichkeiten, mich mit der Stadt, Land und Leuten vertraut zu machen. Deswegen war ich sehr froh, dass ich trotzdem die Möglichkeit hatte, Bremerhaven zu besuchen.
Monatelang hatte Island die Pandemie besser im Griff als viele andere Länder. Was hat es anders gemacht?
Island hat ähnliche Maßnahmen ergriffen wie z.B. Deutschland, mit Kontakt– und Versammlungseinschränkungen. Die Strategie besteht im Großen und Ganzen aus: frühzeitigen Tests, Kontaktverfolgung, Quarantäne exponierter Personen und Isolierung bestätigter Fälle und persönlicher Hygiene. Im Sommer hatten wir ganz wenige positive Fälle, bis die zweite Welle Ende August eintraf. Wichtig ist, dass die Grenze zu Europa durch den gesamten Verlauf der Pandemie offengeblieben ist, aber mit Tests bei der Einreise und seit August mit Doppeltests: bei der Einreise und nach 5- bis 7-tägiger Quarantäne oder 14 Tagen Quarantäne. Diese Regelung gilt bis 1. Februar 2021.
Während der ersten Welle haben wir wichtige Erkenntnisse über die Krankheit gewonnen, mit denen wir jetzt auf die Epidemie reagieren können, um sicher zu einer relativen Normalität zurückkehren zu können. Unsere Bevölkerung macht mit und unterstützt die Maßnahmen der Regierung. Wir rechnen damit, Anfang nächsten Jahres mit Impfungen beginnen zu können.
Die Finanzkrise 2008/9 hatte Island gerade erst hinter sich gelassen, nun folgt der nächste Wirtschaftseinbruch. Mit welchen konkreten Maßnahmen hilft die Regierung?
Die Pandemie wird schwere Folgen für die Wirtschaft haben. Wir rechnen damit, dass das BIP in diesem Jahr um 8,7% schrumpfen wird. Die Arbeitslosigkeit zum Jahreswechsel scheint bei über 10% zu liegen. Es gibt auch positive Aspekte: Island ist in vieler Hinsicht in einer guten Position, den Sturm zu überstehen, auch dank seiner Erfahrungen während der Finanzkrise. Wir haben eine große Devisenreserve und starke Pensionsfonds. Alle Wirtschaftszweige haben ihre Schulden in den Jahren vor der Pandemie stark abgebaut. Dem erfolgreichen Fischereisektor geht es gut, und die Exporte von Fisch sind gestiegen.
Die Reaktion der Regierung auf die wirtschaftliche Situation war schnell und umfassend. Darlehensgarantien, direkte Zuschüsse, Kurzarbeitergeld und Gehälter für Mitarbeiter in Quarantäne wurden sichergestellt, um nur einige Maßnahmen zu nennen. Die staatlichen Investitionen wurden in diesem Jahr und in den kommenden Jahren erhöht, wobei der Schwerpunkt auf Projekten liegt, die jetzt Arbeitsplätze schaffen und die zukünftige Produktivität unterstützen. Die Zuschüsse für Innovation wurden ebenfalls erhöht. Dies bietet mittelfristig weitere Unterstützung, schafft Vertrauen und ebnet den Weg für eine erneute Phase des Wirtschaftswachstums. Die Regierung legt viel Wert darauf, dass die Maßnahmen die Gleichstellung von Frauen und Männern unterstützen.
Botschafterin Marelsdóttir: "Wir nutzen die Zeit jetzt"
Island bekommt globale Krisen besonders zu spüren. Wird Corona die Wirtschaft des Landes verändern, etwa den Tourismus?
Der Tourismussektor ist stark betroffen, und wir gehen davon aus, dass die Zahl der Touristen in diesem Jahr um mehr als 70% sinken wird. Island wird mit seiner bisweilen sogar unberührten Natur, der sauberen Luft und der dünnen Besiedlung ein attraktives Reiseziel für Touristen bleiben. Wir nutzen die Zeit jetzt, um die Infrastruktur noch besser auszubauen und die Reiseziele besser zu organisieren, damit alles bereit ist, wenn wir alle wieder mobiler sind.
Die Zahl der ausländischen Touristen ist gesunken, gleichzeitig reisen viel weniger Isländer ins Ausland. Der Binnentourismus hat die Wirtschaft unterstützt, weil Isländer im Inland Geld ausgeben, das sie sonst für Reisen ins Ausland ausgegeben hätten. Die Regierung will auch private Investitionen fördern und Anreize für nachhaltige Innovation setzen, zum Beispiel im Energiesektor oder in der Hightech-Industrie.
Island ist digitaler Vorreiter in Europa - ein Vorteil in der Krise?
Ich denke, auf beide Fragen kann ich mit Ja antworten. Ziel der Regierung ist es, Island in den nächsten drei Jahren zu einem führenden Anbieter digitaler Dienste zu machen. Nehmen wir COVID-19: Die isländische Tracing App gibt es bereits seit April mit hoher Akzeptanz in der Bevölkerung. Island hat sie unter hohen Auflagen zum Datenschutz entwickelt.
Durch den Digitalisierungsschub sind auch neue Arbeitsplätze entstanden. Unsere Startup-Szene, besonders in den Bereichen EdTech, FinTech und HealthTech, berichtet von einer hohen Nachfrage und von einem wachsenden Investoreninteresse. In der COVID-19-Pandemie sind die Isländer noch mehr als üblich auf digitale Lösungen beim Lernen, Einkaufen sowie auch im Kulturbetrieb umgestiegen - nutzen die Krise also auch als Chance.
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