15.12.2020

Auf der weltpolitischen Bühne

Zum zweiten Mal seit der Gründung 1996 hat Island den Vorsitz des Arktischen Rates inne. Keine leichte Aufgabe, denn die gewaltigen Rohstoffvorkommen der Arktis wecken zahlreiche Begehrlichkeiten - weit über die Gemeinschaft der Anrainerstaaten hinaus.

 

Schiff an einem Eisberg in der Arktis. Bild von Hubert Neufeld auf Unsplash.
Im Sommer bald schon eisfrei: die Arktis. © Hubert Neufeld auf Unsplash.

 

Es war ein ambitionierter Fahrplan, den Islands Außenminister präsentierte: In den kommenden beiden Jahren wolle sein Land die nachhaltige Entwicklung der Arktis in den Mittelpunkt rücken, betonte Guðlaugur Þór Þórðarson im Mai 2019 bei der Ministertagung des Arktischen Rates in Rovaniemi.

 

Zum zweiten Mal seit der Gründung 1996 hat Island den Ratsvorsitz inne. Ganz oben auf der Agenda: ein regionaler Aktionsplan gegen Meeresmüll und ein Bericht zum Klimawandel in der Polarregion.

 

Doch statt mariner Umwelt und Klimaschutz ist zunehmend ein anderes Thema im Blick: der internationale Wettstreit um die Arktis.  

 

Eigentlich tagt der Arktische Rat abseits der Scheinwerfer. Als einziges internationales Forum befasst er sich ausschließlich mit der Arktis. Neben den fünf Küstenstaaten USA, Kanada, Russland, Norwegen und Dänemark (mit Grönland) gehören dem Gremium auch Finnland, Schweden und Island an.

 

Musterbeispiel für regionale Kooperation

 

Oberstes Prinzip: Politik hinter geschlossenen Türen und Entscheidungen im Konsens. Ein Musterbeispiel für regionale Zusammenarbeit. 

 

Doch im Mai 2019 endete ein Außenministertreffen erstmals ohne eine offizielle Erklärung. Stattdessen gab es zum Abschluss des finnischen Ratsvorsitzes nur eine dürre "ministerielle Stellungnahme".

 

Es habe unterschiedliche Auffassungen zum Klimawandel gegeben, räumte Finnlands Außenminister Timo Soini nach dem Treffen in Rovaniemi schmallippig ein. 

 

Weniger diplomatisch war der Inuit Circumpolar Council, der die indigene Bevölkerung in den Anrainerstaaten vertritt: Die USA hätten ein "unglückliches Beispiel" gegeben, indem sie die Aufnahme des Wortes "Klimawandel" abgelehnt hätten. Dies sei ein "moralisches Versagen" und "ein schwerer Schlag" für die Zukunft des Gremiums.

 

US-Außenminister Mike Pompeo hatte seine Rede lieber genutzt, um China und Russland vor einseitigem Vorgehen in der Region zu warnen.  

 

Kein leichter Start: Islands Ratsvorsitz

 

Ungewollt fand sich der Arktische Rat so auf der grellen Bühne der Weltpolitik wieder. Kein leichter Start für Island, das in Rovaniemi den Ratsvorsitz von Finnland übernahm. 

 

Während des Kalten Krieges zählte die Arktis zu den am stärksten militarisierten Gebieten der Welt. Das änderte sich erst mit dem Amtsantritt von Michael Gorbatschow. In seiner Murmansk-Rede rief der sowjetische Staatschef im Oktober 1987 dazu auf, die Polarregion in eine "Zone des Friedens" zu verwandeln. 

 

Ein Gedanke, der auch die Einrichtung des Arktischen Rates leitete: Gemäß der Ottawa-Erklärung von 1996 schloss sein Mandat militärische Sicherheit ausdrücklich aus.

 

Das Gremium sollte sich auf den Schutz und die nachhaltige Entwicklung der Arktis konzentrieren.  

 

Eine Aufgabe, die dringlicher scheint denn je. Denn vom Klimawandel ist die Arktis besonders betroffen. Die Durchschnittstemperaturen steigen hier deutlich schneller als in anderen Teilen der Welt.

 

Bis 2050 wird Nordpol im Sommer eisfrei

 

Bis 2050 wird der Nordpol nach neuesten Berechnungen in vielen Sommern eisfrei sein. Die Eisschmelze eröffnet ganz neue Schifffahrtsrouten und die Aussicht auf gewaltige Rohstoffvorkommen. Das weckt Begehrlichkeiten - weit über die Arktis-Anrainer hinaus. 

 

So erklärte sich China 2018 kurzerhand zum Near Arctic State, zum Nah-Anrainer. Schließlich sei es einer der Staaten auf dem asiatischen Kontinent, die dem Polarkreis am nächsten liegen. Seit 2013 hat die Volksrepublik bereits einen Beobachterstatus im Rat inne - und betreibt eine ehrgeizige Arktispolitik.

 

Offiziell klingt das so: Man wolle einen Beitrag zum Schutz der Polarregion leisten. Doch im Rahmen der chinesischen Belt and Road Initiative, einem gigantischen Infrastruktur- und Handelsprojekt, kommt dem Nordpolarmeer - neben dem Landweg durch Zentralasien und dem indo-pazifischen Seeweg - geostrategische Bedeutung zu.

 

Chinas Energieminister war bereits mehrfach in Grönland. Ein chinesisch-australisches Konsortium arbeitet dort am Abbau von Seltenen Erden und Uran und hat zudem angeboten, in Narsaq einen Überseehafen zu bauen.

 

China: Engagement in Island

 

In Island ist ein ähnliches Projekt an politischem Widerstand gescheitert. Doch davon lässt sich die chinesische Führung nicht beeindrucken. Keine Botschaft in Reykjavík, so Deutschlandfunk-Autor Gunnar Köhne, sei größer als die der Volksrepublik.

 

"Hier werden, so ahnt man beim Anblick, wohl nicht bloß Chinas Interessen in Island vertreten. Hier geht es um die gesamte Arktisregion."

 

Auffällig ist, dass sich chinesische Akteure vor allem in kleineren Ländern engagieren, die nicht vollständig in die westlichen Bündnisse integriert sind - wie Island (das nicht der EU angehört) oder Finnland (das kein Nato-Mitglied ist). 

 

Doch Chinas Projekt einer polaren Seidenstraße ist nicht denkbar ohne einen anderen großen Player. Russland sei der größte Arktisstaat und fast ein Drittel seines Territoriums liege im Polargebiet, hat Präsident Wladimir Putin wiederholt betont. Soll heißen: An Moskau kommt in der Arktis keiner vorbei.  

 

Dabei ist der arktische Klimawandel für Russland Fluch und Segen zugleich. Denn mit der Eisschmelze werden die bisherigen Außengrenzen durchlässiger - worauf Moskau mit verstärkter Militärpräsenz in der Region reagiert.

 

Russland braucht China

 

Zugleich eröffnen sich neue Wirtschaftschancen: So setzt der im März 2020 veröffentlichte 15-Jahres-Plan bei der Entwicklung des Landes auf arktische Ressourcen.  

 

Doch das geht nicht ohne den finanzstarken Partner China, jedenfalls solange wie Russland wegen der Krim-Annexion mit westlichen Sanktionen belegt ist. Und so bietet Moskau Zugang zu Häfen und Infrastruktur - als Gegenleistung für chinesische Investitionen. 

 

Zunehmend ungehalten reagieren die USA auf den wachsenden Einfluss der beiden Konkurrenten. Nach dem Kalten Krieg hatten sie der Arktis lange Zeit keine besondere Bedeutung beigemessen. Doch nun sind sie zurück im Spiel.

 

Auf der Versammlung des Arctic Circle, einer gemeinnützigen Organisation mit Sitz in Reykjavík, pries US-Energieminister Rick Perry im Oktober 2019 das "unglaubliche Energiepotenzial" der Arktis. Im Juni 2020 erfolgte die Wiedereröffnung des US-Konsults in Grönlands Hauptstadt Nuuk, verbunden mit einem Investitionspaket von stolzen 12 Millionen US-Dollar.

 

Politisches Kalkül der USA

 

Ein Jahr zuvor wollte der US-Präsident gar die ganze Insel kaufen - hatte die Rechnung aber ohne Dänemarks Regierungschefin Mette Frederiksen gemacht, die das Ansinnen als "absurd" zurückwies. Den geplanten Staatsbesuch in Kopenhagen sagte Donald Trump daraufhin ab.

 

Was nach einer Anekdote klingt, folgt doch politischem Kalkül. Aus US-Sicht nimmt Grönland, wie Island, eine strategisch wichtige Position ein. Im Sommer 2018 reaktivierte die US-Marine ihre 2. Flotte, die im Kalten Krieg die sowjetischen Nordmeer-Verbände im Visier hatte, und verstärkte die Präsenz in der Arktis.

 

Das Führungs- und Einsatzzentrum liegt seit September 2019 im isländischen Kevlafík.  

 

Der zeitgleich geplante Reykjavík-Besuch von Außenminister Mike Pompeo sollte die amerikanischen Interessen bekräftigen. Doch auf ein Gespräch mit Regierungschefin Katrín Jakobsdóttir musste der US-Vizepräsident verzichten.

 

Eine "Terminkollision", bedauerte die Premierministerin, sie sei Hauptrednerin beim Treffen der nordischen Gewerkschaften in Malmö.  

 

Island: Ausstieg aus NATO vertagt

 

Politische Beobachter vermuteten alsbald einen Zusammenhang mit den Plänen, die ehemalige US-Luftwaffenbasis im Südwesten des Landes wiederzueröffnen. Schließlich fordert Jakobsdóttirs Links-Grünen-Bewegung seit langem einen Ausstieg aus der Nato, auch wenn dieser angesichts der politischen Kräfteverhältnisse im AlÞing vorerst vertagt ist. 

 

Island - das zeigt die Episode - will eine Partnerschaft auf Augenhöhe und dürfte damit den Nordländern Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden aus der Seele sprechen. Bereits bei der Staffelübergabe in Rovaniemi äußerte Außenminister Guðlaugur Þór Þórðarson die Sorge, dass der Arktische Rat an Einfluss verlieren könne.

 

Island hat sich deshalb eine Stärkung des Gremiums auf die Fahnen geschrieben. "Wenn es den Arktischen Rat nicht gäbe, dann hätten wir noch mehr Probleme." Mit mehreren Abkommen - etwa zur Zusammenarbeit beim Such- und Rettungsdienst - hatte das Gremium zuletzt seinen Gestaltungswillen unterstrichen.

 

Fachleute wie der Berliner Thinktank SWP sehen die praktikabelste Lösung darin, das Mandat des Rates zu erweitern.  

 

Auch Islands Regierungschefin Jakobsdóttir betonte bei der Eröffnung der Arktis-Konferenz im Oktober 2019: "Wir müssen und sollten darüber diskutieren, ob der Arktische Rat sich auch mit Sicherheitsfragen befassen sollte."  

 

Island fördert Arktischen Wirtschaftsrat

 

Daneben setzt Island auf stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit und will den 2014 gegründeten Arktischen Wirtschaftsrat aufwerten. Es gehe darum, "ganzheitliche Geschäftsmodelle" im Sinne der Blue Economy zu unterstützen. Bereits in seiner Arktis-Resolution von 2011 erklärte es die nachhaltige Ressourcennutzung zum nationalen Schwerpunkt.

 

Die Fischerei aus arktischen Gewässern ist für Island ein wichtiges Standbein, das es mit dem Ausbau seiner Infrastruktur stärken will. Jüngstes Beispiel: der Tiefwasserhafen in Finnafjord, der Drehkreuz für Transporte durch das Nordpolarmeer werden soll.

 

Island scheint fest entschlossen, im Spiel der Großen mitzuspielen.  

 

 

Text: Nicole Maschler

 

Dieser Text ist zuerst im DIG-Newsletter 2020 erschienen. 


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