18.04.2020

Die Türöffnerin der Frauen

1980 wählte Island Vigdís Finnbogadóttir an die Spitze des Staates – die erste Präsidentin weltweit. Die Kandidatin - alleinerziehend und ohne politische Erfahrung – überzeugte mit Mut, Selbstbewusstsein und Talent. Jetzt wird die frühere Staatschefin 90.

 

Gelbe Eingangstür. Bild von Garrett Sears auf Unsplash.
Türöffnerin für viele Frauen: Islands Ex-Präsidentin Vígdis Finnbogadóttir. © Garrett Sears auf Unsplash.

 

Island ist das Land der Fischer. Kein Wunder, dass es Seeleute waren, die Vígdis Finnbogadóttir 1980 zum ersten weiblichen Staatsoberhaupt der Welt machten – ein Vierteljahrhundert, bevor in Deutschland eine Frau ins Kanzleramt einzog. Im April feiert Islands frühere Präsidentin ihren 90. Geburtstag.

 

Ihr Weg nach Bessastaðir, wie der Präsidentenamtssitz nahe Reykjavík heißt, war alles andere als vorgezeichnet – und doch erscheint er in der Rückschau als folgerichtig.

 

„Vigdís Finnbogadóttir war unverheiratet, alleinerziehende Mutter mit Kind, hatte keinerlei politische Erfahrung und war Gegnerin des Nato-Stützpunktes. Das waren die häufigsten Argumente, die gegen sie vorgebracht wurden. Und sie war eine Frau“, schreibt ihr Biograf Páll Valsson.

 

Doch Mut, Selbstbewusstsein und Talent öffneten ihr die Türen bis zum höchsten Staatsamt.

 

Aufgewachsen in einem liberalen Elternhaus

 

Im Jahr 1930 geboren, wuchs Vigdís Finnbogadóttir in einem liberalen Elternhaus auf. Der Vater war Ingenieur und Professor an der Universität, die Mutter als Vorsitzende des isländischen Pflegedienstes und der Krankenschwesternvereinigung im Krieg und danach stark engagiert.

 

Die Eltern lasen und diskutierten viel. „Vigdís Kindheit war beherrscht von endlosen Diskussionen und Spekulationen über die Entwicklungen in Europa“, resümiert Valsson in seiner lesenswerten Biografie Frau Präsident.

 

Ein Interesse, das sich auf die Tochter übertrug. Nach dem Abitur 1949 wollte Vigdís zum Studieren ins Ausland – ein ungewöhnlicher Wunsch für eine junge Frau in dieser Zeit. Doch ihre Eltern, selbst weit gereist, ließen sie ziehen.

 

In Grenoble bereitete sich Vigdís auf die Sprachprüfungen für das Studium in Paris vor. Doch das war schwieriger als gedacht, und nach langen Monaten einsamen Lernens hielt sie es schließlich nicht lange in ihrer Traumstadt; sie kehrt nach Island zurück, um Freund Ragnar zu heirateten.

 

In Reykjavík arbeitete Vigdís in der Bibliothek des Nationaltheaters und im Sommer als Fremdenführerin.

 

Scheidung und Neuanfang

 

Doch bald zieht das Paar nach Schweden, wo ihr Mann eine Stelle als Facharzt annimmt. Vigdís vermisst das kulturelle Leben und ihre Arbeit. Schon wenig später folgt der erste Umzug, dann der nächste, bis am Ende die Beziehung kaputt ist und die Scheidung folgt – Anfang der 1960er Jahre ein Tabuthema auch in Island, zumindest für die Frau. 

 

Doch Vigdís hat Glück und kann an ihre früheren Arbeitsstätten am Nationaltheater und im Tourismusbüro zurückkehren. Beruflich läuft es in den nächsten Jahren gut. Vigdís wird Intendantin der neuen Theatergesellschaft Reykjavík. Im Fernsehen bekommt sie eine eigene Sendung – als Französischlehrerin. Bald ist sie – fotogen und sympathisch – landesweit bekannt.

 

Das Privatleben ist bewegter. Erst nach mehreren Anläufen und dank ihrer Beharrlichkeit erhält sie 1972 die Erlaubnis zur Adoption – als erste alleinstehende Isländerin.

 

Die Doppelbelastung als Theaterchefin und Mutter ist nur mit viel Organisation und Ausdauer zu bewältigen – fordert der Job sie doch auch abends und am Wochenende.

 

Vorbild für viele Frauen

 

Anfang 1977 erhält Vigdís Finnbogadóttir die Diagnose Brustkrebs – es folgen Operationen und Behandlungen. „Weil ich später in diesem Amt landete, weiß jeder davon, und ich habe den Eindruck, zu einer Art Vorbild auf diesem Gebiet geworden zu sein.“

 

Und sie taugt zum Vorbild. Sie ist eine selbständige und gebildete Frau, die mehrere Sprachen beherrscht, souverän auftritt und telegen ist. Durch ihre Arbeit für das Tourismusbüro war sie viel im Land herumgekommen und die Menschen mochten sie. Als die Präsidentschaftswahlen anstehen, fälllt deshalb immer wieder auch ihr Name.

 

Viele Frauen, nicht nur Feministinnen, wünschen sich eine Kandidatin; die Kulturszene wiederum hoffte, dass das Amt nicht mit einem Beamten oder Politiker besetzt werden möge.

 

Die meisten Kritiker sind hingegen überzeugt, das Präsidentenamt sei nichts für eine unverheiratete Frau mit Kind. Ein Ehepaar in Bessastaðir sähe auch gegenüber ausländischen Gästen besser aus.

 

Mehr erfahren

 

Páll Valsson

Frau Präsident

Eine isländische Biografie

 

Orlanda Frauenverlag Berlin 2011

 

203 Seiten, mit zahlreichen Fotos


 

Doch dann kamen die Fischer: „Eines Tages klingelte es bei mir und ein Bote stand mit einem Telegramm vor der Haustür. (…) Und da stand: `Wir, die Unterzeichnenden, appellieren an Sie, für das Amt des Staatspräsidenten Islands zu kandidieren … Die Besatzung der Guðbjartur ÍS.´ Und alle hatten mit ihrem Namen unterschrieben. (…) Das war ein Wendepunkt“, erinnert sich Vigdís Finnbogadóttir.  

 

Kurze Zeit später erklärt sie ihre Kandidatur. Im Wahlkampf hob sie sich deutlich von ihren Gegenkandidaten ab – einem früheren Unirektor, einem ehemaligen Diplomaten und einem Ex-Profifußballer. Einfache Leute hatten sich für sie eingesetzt – und arbeiteten jetzt auch im Wahlkampf mit. „Frau der Fischer“ nannte sie das Magazin mare deshalb noch 2017.

 

Der Amtsantritt von Vigdís Finnbogadóttir am 1. August 1980 machte Schlagzeilen weit über die Grenzen des Landes hinaus, und plötzlich stand der kleine Inselstaat im Fokus der Weltöffentlichkeit.

 

Im Fokus der Weltöffentlichkeit

 

In ihre Amtszeit fielen das historische Gipfeltreffen von US-Präsident Ronald Reagan und dem Generalsekretär des ZK der KPdSU, Michail Gorbatschow, im Oktober 1986 in Reykjavík, das dem INF-Vertrag den Weg bereitete, und das umstrittene Gesetz zum EWR-Beitritt Islands 1993.

 

Wichtige Anliegen ihrer Präsidentschaft waren das Aufforstungsprogramm, die Unterstützung der isländischen Sprache und Frauenrechte – Themen, für die sie sich auch schon vor ihrem Amtsantritt stark gemacht hatte.

 

Die kritischen Stimmen verstummten im Laufe ihrer Amtszeit zunehmend. 1984 und 1992 wurde sie ohne Gegenkandidat:innen wiedergewählt, 1988 gewann sie die Wahl mit mehr als 94% der Stimmen gegen Sigrún Þorsteinsdóttir.

 

Bei der Wahl 1996 trat sie nicht mehr an. Vorausgegangen war eine heftige Diskussion um ihre Äußerungen anlässlich der Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking.

 

"Pressesprecherin der Mörder"

 

In einem Fernsehinterview hatte Vigdís Finnbogadóttir gesagt, Frauen hätten zu radikal gegen die Einmischung chinesischer Behörden protestiert. Eine Aussage, die einen Sturm der Entrüstung auslöste.

 

Plötzlich galt sie als „Menschenrechtsgegnerin und Pressesprecherin der Mörder“, wie sich ihr Biograf Valsson erinnert. Dabei waren die Äußerungen aus dem Zusammenhang gerissen worden.

 

Doch die Feindseligkeiten, denen sie nun begegnete, waren ein Warnsignal. „Sie waren nicht nur ein Zeichen dafür, dass Vigdís nicht länger über alle Kritik erhaben war, sondern zeugten auch von Ungeduld und Überdrüssigkeit gegenüber der Staatspräsidentin“, so Valsson.

 

Drei Wochen später gab Vigdís Finnbogadóttir ihren Rückzug aus der Politik bekannt. Bei der nächsten Wahl werde sie nicht noch einmal antreten.

 

Im Sommer 1996 endete ihre Amtszeit – nicht aber ihr Engagement. Sie wurde Gründungsvorsitzende des Council of Women World Leaders, Mitglied im Club of Madrid und Unesco-Botschafterin für die Förderung sprachlicher Vielfalt, für Frauenrechte und Bildung.

 

Bei einer Umfrage 2005 wählten die Isländer:innen sie zur bedeutendsten politischen Persönlichkeit. Zu ihrem 90. Geburtstag am 15. April kamen Hunderte Menschen zu ihrem Haus, um dem früheren Staatsoberhaupt mit einem Ständchen zu gratulieren.

 

Die Frau der Fischer – sie ist noch immer die Präsidentin der Herzen. 


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